Ein Band aus Wasser
ich keine Schule.
Nachdem ich einen Moment vor mich hin gedöst hatte, meldete sich erneut ein nagendes Gefühl am Rande meines Bewusstseins und signalisierte mir, dass Clio wach war. Ohne einen wirklichen Grund zwang ich mich, die Augen zu öffnen und an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Sie war doch nicht krank, oder? Fühlte sich nicht so an. Außerdem zog mich alles zurück in den Schlaf, fast als wäre ich …
Ja, wenn ich es recht bedachte: als wäre ich verzaubert worden.
Bei dem Gedanken öffneten sich meine Augen erneut. Ich nahm eine Art Systemtest an meinem Körper vor und fragte mich, ob ich einen Schlafzauber wohl als solchen erkennen würde. Ich vermutete schon. Das hier fühlte sich an, als würde ich in einem goldenen Netz aus Schlaf gewiegt, das mich in einen vollendeten, sorglosen Schlummer lockte.
Doch Clio war hellwach. Warum lag sie wach, wenn ich mit einem Zauber belegt worden war? Stimmte das überhaupt? Gedanken flatterten mir durch den Kopf wie Stofffetzen im Wind, entglitten mir, bevor ich mich auf sie konzentrieren konnte. Alles, was ich wollte, war, wieder in Schlaf zu sinken.
Ich blieb absichtlich regungslos liegen, atmete tief und gleichmäßig und versuchte mit aller Kraft, nicht wieder ins Unbewusste abzugleiten, so verführerisch es auch sein mochte. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Mir flog die Ahnung zu, dass Clio nervös oder aufgeregt oder verängstigt war. Was sollte ich tun? Konnte ich überhaupt aufstehen? Ich hatte Angst, es zu versuchen: Wenn ich mittels Magie an mein Bett gebunden war, würde ich garantiert Panik bekommen und ausflippen.
Fast lautlos verließ Clio ihr Zimmer und lief über den oberen Treppenabsatz. Sie kam an meiner halboffenen Tür vorbei und tappte barfuß nach unten. Irgendetwas sagte mir, dass alles in Ordnung war, dass ich einfach wieder einschlafen und mir deswegen keine Sorgen machen sollte.
Doch das versetzte mich nur noch mehr in Aufruhr. Solche Gefühle waren die klassischen Anzeichen für Schlafzauber, wie Petra mir einmal erklärt hatte. Ich kämpfte gegen die Erschöpfung an, blinzelte wieder und wieder und stützte mich auf die Ellbogen, obwohl es unfassbar verlockend war, sich wie in ein Koma fallen zu lassen. Als ich meine Sinne aussandte, spürte ich, dass Petra unten schlief.
Was hieß, dass dies Clios Werk war. Sie hatte das Haus mit einem Zauber belegt, damit wir alle tief und fest schliefen. Aber warum?
Ich muss aufwachen.
Meine Schwester hatte mich verzaubert, um mich irgendetwas verschlafen zu lassen. Ich zwang mich, mich aufzusetzen, obwohl sich meine Arme und Beine anfühlten, als würden sie ungefähr fünfzig Kilo wiegen. Und wieder kam mir der beruhigende Gedanke: Alles ist gut, da ist nichts, leg dich wieder schlafen.
Clio verließ das Haus. Ich fühlte, wie ihre Gegenwart schwächer wurde. Als sich die Tür hinter ihr schloss, hörte ich ein schwaches Klicken. Endlich kam mir der Gedanke, auf die Uhr zu sehen. Es war vier Uhr fünfundzwanzig.
Was in aller Welt tat sie nur?
Ungeschickt rappelte ich mich auf. Ich war wie benebelt und total erledigt. Ich dachte über einen möglichen Zauber nach, der diesen hier bekämpfen konnte. Ganz bestimmt gab es einen, er wollte mir nur ums Verrecken nicht einfallen. Langsam tastete ich mich zum Badezimmer vor, beugte mich über das Waschbecken und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Das machte mich immerhin so wach, dass ich mich daran erinnerte, Runen in die Luft zu malen: deige für Tagesanbruch, Erwachen und Klarheit. Uche für Stärke. Seige für Leben und Energie. Dann murmelte ich:
Fort mit dem Nebel, der über mir hängt,
Hin zu etwas, das Klarheit mir schenkt.
Welch’ Zauber mich auch bindet,
Ich will, dass er verschwindet.
Innerhalb weniger Sekunden spürte ich, wie ich aufwachte und mich wieder normaler fühlte. Ich spritzte mir noch mehr Wasser ins Gesicht, bis mir einfiel, dass Clio ja schon weg war. Ich raste in mein Zimmer, streifte mir die Jeans von gestern und ein Sweatshirt über und eilte dann so leise ich konnte nach unten. Ich lief ins Wohnzimmer und blickte aus dem Fenster neben der Eingangstür. Ich wusste, dass Clio schon vor Minuten gegangen sein musste, während ich im Bad versucht hatte, einen klaren Kopf zu bekommen. Und ich konnte kaum darauf hoffen zu erfahren, wohin sie gegangen war.
Zu meiner Überraschung stand sie in unserem Vordergarten. Sie war dunkel angezogen und auch ihr Haar war natürlich dunkel. Doch ich hatte
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