Ein Baum wächst übers Dach
Kiefernwälder, und lebte dort ein beschauliches Leben. Als fremde Diplomaten zu Besuch kamen, wollte ich diskret auf dem Zimmer essen, meine Schwiegermutter aber holte mich wieder vor, küßte mich und raunte mir zu: «Das sind die Türken, die werden begeistert sein!» Tatsächlich gingen bei meinem Anblick die Wogen der guten Wünsche hoch, und selbst Allah wurde bemüht, damit es ein Sohn werden möge.
Wo ich konnte, machte ich mich nützlich. Ich pflückte die Johannisbeeren, die gerade reif waren, und kochte Unmengen roter Grütze daraus. Nur schwer war ich zu überzeugen, daß die scheußlichen Bauchschmerzen eines Mittwochs Ende Juli nicht so sehr mit diesen roten Grützen als vielmehr mit Dickis Geburtstag zusammenhingen.
In der freudigen Aufbruchstimmung eines Nanga-Parbat-Besteigers ließ ich mich von Schwager und Schwägerin in die Klinik des Landkreises fahren, wo ich zwar ohne rechten Appetit zu Mittag aß, den Tee aber immerhin schon in Gesellschaft von Dicki trank, einer possierlichen Karikatur seines Vaters, der verdrießlich blinzelte, weil es auf der Welt so hell war. Ich konnte nun den in Familienzeitschriften so farbig geschilderten Augenblick kaum erwarten, wo ich vom Bett aus dem jungen Vater seinen Erstgeborenen entgegenhalten würde. Leider fiel es den Ärzten ein, mich noch einmal in den Operationssaal zu holen und in eine tiefe Narkose zu versetzen, aus der ich nur schwer und ungern wieder erwachte. Lange Zeit wußte ich nicht, wer ich war, geschweige denn, wo ich war. Als das seltsame Meeresrauschen sich wieder in das Knattern gestärkter Schwesternschürzen zu verwandeln begann, sagte eine Stimme von der Tür her halblaut: «Es ist ein junger Mann draußen mit einem Koffer, darf man ihn hereinlassen?» Da ich keine Ahnung hatte, daß die jubelnde Familie Michael telefonisch in die kleine Provinzstadt zitiert hatte, dachte ich lange und angestrengt darüber nach, was ein junger Mann mit einem Koffer bedeuten könnte, und sagte schließlich: «Ich kaufe nichts!» Alles lachte, sogar der funkelnagelneue Dicki verzog den Mund. Mit dem schicksalsträchtigen großen Augenblick war es wieder mal nichts.
Schicksalsträchtiger wurde es schon, als Michael wenige Tage später mit der Einberufung in der Hand auf meinem Bettrand saß. Er erklärte mir wortreich, der Krieg könne sowieso nicht mehr lange dauern. Die Möbel stünden gut beim Spediteur in Berlin. Ich solle, wenn ich erst wieder auf sei, die nötigste Wäsche und meine Wintersachen von dort abholen. Man könne schließlich nie wissen. Ich weinte, Dicki bekam saure Milch und schrie uns die Ohren voll, die Schwestern eilten besorgt umher. Zu machen war nichts, wir lebten in einer großen Zeit und hätten uns gerne mit einer kleineren begnügt.
Michael packte seine Sachen und siedelte in eine Kaserne über, in der er mit sechzig Mann den Schlafsaal teilte. Die Schwiegereltern kamen mit einem großen Wagen in die Klinik gefahren, luden Dicki und mich hinein, trockneten meine Tränen und bereiteten mir fern der Bomben ein märchenhaftes Wochenlager mit Kinderschwester und Frühstück im Bett. Dicki kam in einem von vielen Enkeln vorerprobten Wagen hinters Haus, von wo aus er die Welt der Wolken und des Lichts durch einen Mückenschleier staunend in sich aufnahm. Sein erstes Lächeln schenkte er nicht mir, sondern einem französischen Kriegsgefangenen, der auf dem Gut arbeitete, und der ukrainischen Köchin, einer verschleppten Person. Diese versöhnliche, völkerverbindende Geste wurde ihm in Anbetracht seines zarten Alters hoch angerechnet.
Von Liebe umgeben und behandelt wie die Prinzessin auf der Erbse hätte ich restlos glücklich sein sollen. Ich war es nicht. Ich wollte nur eines: zu Michael zurück. Wenn ich sein Foto sah, zwickte es mich schon in Nase und Augen. Kurz, ich benahm mich ebenso dämlich wie die Heldinnen der Gartenlaubenromane. Der kleine Wanst, der da nuckelte und gedieh, war für mich nicht übermäßig interessant, und in allem, was ihn betraf, entwickelte ich eine neue Sachlichkeit. Während ich früher heftig errötet war, wenn sich ein männlicher Blick in die Nähe meines Ausschnittes verirrt hatte, ließ ich jetzt, tief aufgeknöpft und den Knaben an der Brust, den Postboten vor mich treten, um eine Einschreibsendung gegenzuzeichnen. Was dienstlich benutzt wurde, war in meinen Augen nicht mehr pikant. Auch der Postbote sah gar nicht hin.
Gelegentlich kam Michael auf einen Urlaub, der so kurz war, daß man die
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