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Ein Berliner Junge

Ein Berliner Junge

Titel: Ein Berliner Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Damaschke
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dann hätte ich wegen der Wohnung wohl keinen Wunsch mehr.«
     
     
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Ein ritterlicher Bäckerlehrling
     
    Von der Rosenthaler Straße zogen wir nach der Neuen Königstraße 88. Die Wohnung lag in einem alten Seitenflügel, unmittelbar über einer Bäckerei; das heißt, in dieser Wohnung mußte ein unaufhörlicher, geradezu hoffnungsloser Krieg geführt werden gegen unzähliges Küchenungeziefer, unter dem die sogenannten Schwaben die gefürchtetsten waren. Man weiß - ach nein, in der Regel weiß man nicht - was es bedeutet, jedes Stück des Küchengeschirrs, jedes Stück Brot verteidigen zu müssen gegen Veschmutzung und Vernichtung durch ekelerregendes Getier.
    Für uns Kinder war das schönste an dieser Wohnung die Nähe des Friedrichshains, der uns im Sommer und Winter zum Kampf- und Spielplatz wurde. Unter den Menschen dieses Hauses fand ich einen Wohltäter, dessen ich heute noch mit Dankbarkeit gedenke. Es war einer der Lehrlinge der Bäckerei. In einem gewissen Alter, so von zwölf bis vierzehn Jahren, ist ein Großstadtjunge in der Gefahr, sich imponieren zu lassen von der Roheit und dem Schmutz der Straße. Man nimmt Ausdrücke an - je schroffer, je scheußlicher sie sind, desto mehr fühlt man sich als Held, als einer, der es den Großen, das heißt den Fünfzehn- und Sechzehnjährigen, gleichtut. Man fühlt sich selbst dabei nicht wohl; aber es muß eben sein, man »ist doch kein Kind mehr«. Und so sehe ich mich noch, wie ich an einem Abend vor dem alten Hause (es ist längst abgerissen) stehe und einem Lehrling der Bäckerei irgend etwas schildere und ihm dabei imponieren will durch Anwendung von solchen von der Straße aufgeschnappten rohen, wohl auch schmutzigen Ausdrücken. Aber dieser Bäckerlehrling hatte die sittliche Reife, ganz ruhig und ganz freundlich mich zu unterbrechen: »Weißt du, so etwas sagt man nicht. Dafür mußt du dich eigentlich für zu gut halten!« Ich sah erstaunt zu ihm auf; dann faßte ich seine Hand und drückte sie. Von nun an suchte ich Gelegenheit, mit diesem Lehrling, der mir ganz groß vorkam, öfters zu sprechen. Aber wir zogen bald fort, und so kamen wir auseinander. Ich habe seinen Namen lange vergessen. Aber ich habe oft in Dankbarkeit seiner gedacht. Es war ein guter Dienst, den er mir erwies. Ach, wenn wir wüßten, wieviel Verantwortung wir auf uns laden, wenn wir aus Feigheit oder Faulheit schweigen, da, wo wir mit einem ruhigen, offenen Wort irrenden Menschenkindern eine ernste Hilfe hätten erweisen können! Mehr als durch gesprochene Worte kann man durch ungesprochene Worte Schuld auf sich laden!
     
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Strandgut der Großstadt
     
    Von der Neuen Königstraße zogen wir nach Neu-Weißensee, in das letzte Haus der Prenzlauer Chaussee. Die Eltern mußten es übernehmen, weil sie irgendwie einmal eine kleine Hypothek darauf gegeben hatten. In meiner Erinnerung steht dieses Grundstück, auf dem nun schon lange eine moderne Mietkaserne errichtet ist, als ein großer Garten mit zwei ganz leicht gebauten Seitenflügeln. In jener Zeit war diese Ecke von Neu-Weißensee (im Volksmund »Karnickelberg« genannt) etwa die äußerste Nordgrenze der Großstadt. Ihre Wogen spülten dort an, was in ihr irgendwie Schiffbruch gelitten hatte. Schon das Eckhaus Prenzlauer Chaussee Nr. 1 sahen wir mit einigem Grauen. Es wurde erzählt, daß dort eine Falschmünzerbande ausgehoben worden sei. Von den Nachbarn steht mir noch in Erinnerung eine feine, blasse Frau aus dem Hause des »Bonbons-Schulzen«. Dieser Name bedeutete für den alten Berliner einst ein stolzes Geschäft in der Nähe des Rathauses. Aus irgendeinem Grunde war ihm der Hoflieferantentitel entzogen und das betreffende Schild umständlich und auffallend entfernt worden. Die Folge war finanzieller Ruin. Eine Tochter aus diesem Hause, die einen kaufmännischen Angestellten geheiratet hatte, saß nun mit ihm dort draußen. Es waren die Nachbarn, mit denen wir am meisten verkehrten.
    Und nun die Menschen in unserem eigenen Hause! Am nächsten kam mir eine Schlächterfamilie R. Der Mann hatte das einzige vierstöckige Haus gebaut, das in jener Gegend aus den kleinen Landhäusern emporragte. Aber in der »Gründerzeit« war er, wie so viele, zusammengebrochen, und nach dem Gesetz verlor er bis zur Deckung der ausgefallenen Hypotheken nicht nur alle Ersparnisse, die er in das Haus gesteckt hatte, sondern auch alles andere Eigentum. Um wenigstens einen Teil der Möbel zu retten und vor allem Pferd und

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