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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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Arbeit kommt, »gibt es keinen einzigen überflüssigen Handgriff.« Er schildert mir Justos Arbeitsmethode, als würde er mir die Funktionsweise des Universums erklären, im Stil des Films Buckaroo Banzai - Die 8. Dimension: »Wohin auch immer du gehst … dort bist du.« Muller streckt die flache Hand aus, die einen Fisch im Justo-Universum darstellt, und sagt: »Also hier …«, dreht die Hand um, als blätterte er eine Seite um, »und dann da.« Er sieht mir einen Moment lang in die Augen, damit mir auch klar wird, dass er mir gerade etwas unglaublich Wichtiges enthüllt hat.
    Jeder Souschef, Postenchef, Pâtissier und Praktikant, der auf dem Weg von der Garderobe in die Küche an Justo vorbeikommt, bleibt kurz stehen, lächelt bewundernd und sagt: »Guten Morgen, Chef.« (Das ist im Le Bernardin so üblich, Höflichkeit ist ein Teil der Unternehmensphilosophie. Man begrüßt alle Kollegen unabhängig von ihrer Position mit »Chef«.) Jeder, der vorbeikommt und mich mit einem Notizblock in der Hand stehen sieht, hält einen Moment inne und überlegt, ob ich wirklich begriffen habe, wie phänomenal,
erstaunlich und übernatürlich gut Justo Thomas seine Arbeit macht. Sie können das besser einschätzen, als es mir je möglich wäre, denn wenn Justo im Urlaub ist, brauchen sie drei Leute, um die gleiche Menge Fisch zu schuppen, auszunehmen, zu säubern und zu zerlegen, die er allein in vier bis fünf Stunden bewältigt.
    Es geht nicht nur darum, dass ein Mann jeden Tag 350 Kilo und freitags sogar 500 Kilo Fisch zerlegt und das Woche für Woche und Jahr für Jahr. Nein, jede einzelne Portion muss perfekt sein. Justo weiß ganz genau, was auf dem Spiel steht.
    »Auf jedem Stück steht der Name des Chefs«, sagt er.
    Er übertreibt nicht. Angesichts des Erfolgs und der exponierten Stellung des Le Bernardin am gastronomischen Sternenhimmel wäre es eine Katastrophe, wenn auch nur ein einziges Stück Seeteufel ein bisschen »alt« riechen würde. Käme es auf den Tisch, würde die Nachricht im Internet wie eine Neutronenbombe einschlagen. Ein Restaurant wie das Le Bernardin, das schon so lange an der Spitze steht, wird mit Argusaugen beobachtet. Es gibt nur allzu viele Menschen, die praktisch nur auf so einen Vorfall warten, um dann zu erklären, das Restaurant sei »auch nicht mehr das, was es einmal war« oder seine besten Zeiten seien vorbei. Solche Begriffe gehören nun einmal im Guten wie im Schlechten zum Wortschatz der einflussreichen Gourmetfreaks.
    Oder anders betrachtet: Ich habe an der besten Kochschule des Landes meinen Abschluss gemacht. Ich habe achtundzwanzig Jahre lang als Koch und Küchenchef gearbeitet. Ich habe in meinem Leben schon Tausende und Abertausende Fische gesäubert und filetiert. Der Küchenchef und
Teilhaber des Le Bernardin, Eric Ripert, ist wahrscheinlich mein bester Freund auf der Welt.
    Aber ich würde es nie wagen, auch nur an einem einzigen Fisch im Le Bernardin das Messer anzusetzen.
    Ripert unterhält ein inoffizielles Spionagenetz, das den CIA neidisch machen würde - und alles nur, um sein Reich zu schützen. Ein Restaurantkritiker, eine wichtige Persönlichkeit und jeder, der dem Restaurant schaden oder sein Ansehen negativ beeinflussen könnte, wird erkannt, kaum dass er über die Schwelle getreten ist. Die Vorlieben und Abneigungen sind … bekannt. Selbst ein Journalist, der das Restaurant noch nie besucht hat - aber es vielleicht bald besuchen und darüber berichten wird -, ist aller Wahrscheinlichkeit nach keine völlig unbekannte Größe. Ripert besitzt erstaunlich gute Kontakte. Und das muss er auch.
    Justo hat daher völlig recht, wenn er sagt, er identifiziere jedes Stück Fisch mit dem Namen und dem Ruf seines Chefs. Auf dem hohen Niveau der Edelrestaurants läuft das so; jeder Kellner, jeder Koch muss auf jedes Detail achten, weil ein Fehler den Gourmettempel zum Einsturz bringen könnte. Alles - absolut alles - muss stimmen. Immer.
    Wenn man wie Justo Thomas sein Geld damit verdient, Fisch auszunehmen und zu filetieren, muss man seine Arbeit in einer bestimmten Reihenfolge erledigen. Justo weicht nie von seiner Vorgehensweise ab. Fernando, der den Fisch in Empfang nimmt und wiegt, stellt ihn immer in der gleichen Reihenfolge und Anordnung zusammen. So wie Justo es möchte.
    »Ich mag Fisch«, sagt Justo ohne eine Spur von Ironie. »Ich esse viel Fisch.«

    Mit Fleisch ist das anders. Er mag kein Fleisch. »Ich traue dem Blut nicht«, ruft er und schaudert fast bei

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