Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
ich.
Sie kam. Und eine knappe Woche lang amüsierten wir uns ganz gut. Klar, wir hatten ein paar Havana Club zu viel, aber in ihrer Gegenwart benahm ich mich besser und stellte meine nächtlichen Selbstmordversuche ein. Ich glaubte, auch ihr täte es gut. Eine Zeitlang wirkte sie an den abgelegenen Stränden der Insel glücklich und entspannt, absolut zufrieden, so schien es mir, mit billigem Johnnycake-Fladenbrot und Schweinerippchen, die am Straßenrand auf durchgesägten 250-Liter-Fässern gegrillt wurden. Sie drehte ausgedehnte Runden im Wasser, und wenn sie herauskam, sah sie wunderschön und erfrischt aus. Ich dachte, alles sei wunderbar - vielleicht taten wir uns gegenseitig gut. Wir gingen in Seemannskneipen einen trinken, gönnten uns nachmittags ein Schläfchen und machten Rumbowle - in Mengen, die mit der Zeit ein wenig beunruhigend wurden. Sie schleppte Defekte mit sich herum, das wusste ich. Wie ich, dachte ich - eine Selbsttäuschung, war doch mein Defekt gänzlich selbst verschuldet.
Ich konnte das Misstrauen, das sie gegenüber der Welt hatte, gut nachvollziehen. Doch wie ich noch merken sollte, hatte ich von ihrer Art Defekt keine Ahnung.
»Gehen wir doch mal nach St. Barths«, sagte sie eines Nachmittags.
Diese Idee war für mich wenig reizvoll. Schon damals, im Zustand seliger Unwissenheit, war mir klar, dass ich mich auf St. Barths, das etwa fünfzehn Kilometer von meiner kuscheligen unschicken Insel entfernt lag, nicht sonderlich wohlfühlen
würde. Ein Hamburger und ein Bier, das wusste ich von Tagesauflügen, kosteten fünfzig Dollar, eine nennenswerte einheimische Kultur gab es nicht, und da Hochsaison war, würde es auf der Insel, die schon sonst nicht meiner Kragenweite entsprach, von prominenten Ärschen, Euroärschen, Möchtegernstars und Oligarchen mit Megajachten nur so wimmeln. Ich wusste genug von St. Barths, um mir darüber klar zu sein, dass das nichts für mich war.
Auf ihr Ansinnen gab ich verbindliche, wohlwollend klingende Geräusche von mir, denn ich war mir ziemlich sicher, dass jedes Mietauto und jedes Hotelzimmer auf der Insel ausgebucht waren. Telefonate bestätigten diese Vermutung, und ich war zuversichtlich, dass sie die Idee aufgeben würde.
Sie erklärte jedoch, sie würde sich keinesfalls von winzigen Nebensächlichkeiten wie fehlender Unterkunft oder mangelnder Transportmöglichkeit von dem Ausflug abhalten lassen. Es gebe ein Haus dort.
Russische Freunde. Alles würde gut.
Gewiss war es nicht Liebe, die mich dazu trieb, meinen gesunden Menschenverstand über Bord zu werfen und mit einer Person, die ich kaum kannte, an einen Ort zu fahren, den ich nicht mochte, und das unter mehr als ungewissen Umständen.
Dieser Abschnitt meines Lebens war nicht gerade durch richtige Entscheidungen meinerseits gekennzeichnet. Doch als ich in den »Kurztrip« nach St. Barths einwilligte, schoss ich einen besonders kapitalen Bock - sprang kopfüber ins wahre Herz der Finsternis. Vielleicht war es damals der Weg des geringsten Widerstands, vielleicht glaubte ich tatsächlich,
dass wir uns »amüsieren« konnten - dabei hätte ich allen Grund gehabt, es besser zu wissen. Ich wusste es besser. Trotzdem marschierte ich geradewegs ins Verderben.
Wir nahmen ein kleines Propellerflugzeug, das uns rund zehn Minuten über das Wasser flog, und landeten, soweit ich wusste, ohne Anschluss, ohne Pläne, ohne Freunde und ohne Unterkunft. Am Gepäckförderband wurde meine Bekannte von einem Promi begrüßt. Sie quatschten kurz. Er bot uns jedoch nicht an, bei ihm zu pennen. Ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen.
Weitab von meiner bequemen Mietvilla auf einer netten Insel, auf der ich - einmal abgesehen von meinem nächtlichen Flirt mit dem automobilen Mord oder Selbstmord - zumindest schwimmen, relativ billig essen und trinken und schließlich sicher in meinem eigenen Bett schlafen konnte, war ich nun plötzlich obdachlos. Schlimmer noch, meine Partnerin war, wie ich schnell merkte, verzogen und betrunken und hatte in regelmäßigen Abständen paranoid-schizophrene Attacken.
Und sie kokste. Habe ich das schon erwähnt?
Jeglicher Hinweis auf die mysteriösen russischen Freunde mit Villa hatte sich auf dem Flug in Luft aufgelöst. Solcherlei Abweichungen von der Realität entwickelten sich in den folgenden Tagen zu einem Leitmotiv. Nach langer Wartezeit fanden wir ein Taxi, das uns in ein Hotel brachte, wo die Angestellten, kaum, dass sie meine rätselhafte, aber zunehmend verrückte
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