Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
quittierten das alles mit einer wohl einstudierten Miene amüsierter Verachtung.
In dieser tiefen Finsternis gab es indes einen Lichtblick, eine Erleuchtung.
Ein Mann auf der Insel verstand die Welt, in der sich meine Begleiterin bewegte, besser als jeder andere. Ein Künstler, einzigartig in seinem Talent, in der Passion, mit der er die Reichen abzog. Nennen wir ihn hier Robèrt, den Mann, der das »Cipriani-Geschäftsmodell« zu seinem logischen Extrem führte. Sein Vorbild gab mir gewissermaßen die Kraft zum Durchhalten.
Die Ciprianis machten gemeinsam mit einer Handvoll anderer Gastronomen und Nachahmer vor langer Zeit eine interessante Entdeckung: Die Säcke der internationalen Hautevolee hocken gern bei einigermaßen anständiger italienischer Küche zusammen - und für dieses Privileg sind sie bereit, unverschämte Summen hinzublättern. Und auch, wer in diesen internationalen Säcke-Jetset vorstoßen will, spielt bereitwillig mit. Das ist die Sorte Kundenkreis, die Träume wahr werden lässt. Wer in Harry’s Bar in Venedig einkehrt, bekommt ganz anständiges Essen serviert, und der
Bellini ist auch nicht schlecht. Es kostet nur eine Stange Geld. Aber man wird durchaus höflich bedient, und das da draußen ist wirklich Venedig, wo sowieso alles teuer ist. Wahrscheinlich haben sich die Ciprianis gedacht, wenn das Modell in Venedig funktioniert, dann geht es auch in New York. Und dass neunundzwanzig Dollar für einen Teller Spaghetti mit Tomatensauce ein absolut vernünftiger Preis sind.
Die italienische Küche in New York leidet traditionell unter einem grausamen Paradox: Je mehr Zutaten in die Spaghetti mit Tomatensauce kommen und je mehr Zeit und Arbeitsschritte dafür aufgewendet werden - je mehr die Zubereitung also kostet -, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es schmeckt. (Meistens steht es dann auch billiger auf der Speisekarte.)
Stellen wir uns nun dagegen schlichte, authentische Spaghetti al pomodoro vor, »wie in Italien«: eine Portion hochwertiger, selbst gemachter Spaghetti, ein paar Tropfen Olivenöl, Knoblauch, Tomaten und ein Basilikumblatt. Das macht dann neunundzwanzig Dollar, bitte. Und der Aperitif kommt auf mindestens siebzehn.
Man bezahlt jemandem im Grunde einen Aufschlag dafür, das Essen nicht zu versauen. Einige Nachahmer der Ciprianis entwickelten das Konzept weiter: Sie erkannten, dass anständiges Essen völlig überflüssig ist. Die reichen Ärsche der internationalen Szene und ihre Bewunderer blättern bereitwillig ein Vermögen hin, um sich Botoxwange an Botoxwange bei Nello in der Upper East Side auf eine puppenstubengroße Bank zu quetschen - oder auf den Friedhöfen der Allzureichen, etwa bei Philippe Chow, unechtes chinesisches Essen aufzuspießen.
Ergänzt man dieses Angebot durch ein paar immer verfügbare Osteuropäerinnen, die alte Säcke in rutschenden Hosen faszinierend finden, dann hat man ein echtes Erfolgsrezept.
Und Robèrt auf St. Barths? Er hatte das ganze Programm. Er entwickelte das Modell so weiter, wie es schon immer hätte sein sollen, schnitt alles zurück bis auf die nackte Wurzel der Hässlichkeit. Anständiges Essen braucht kein Mensch. Im Gegenteil: Man kann, so fand er heraus, gezielt und mit großer Sorgfalt und Entschlossenheit schlichtweg Scheiße servieren. Man muss auch keinen hübschen Raum, keine schicken Tische, Tischdecken, Blumen oder gar russische Nutten haben. Alles, was man braucht, ist eine nette Lokalität, in diesem Fall eine offene Veranda mit Holzdielen, und die richtige Einstellung. Vor allem aber braucht man den Ruf eines grantigen Arschlochs, das sich einen Scheiß um irgendwas oder irgendwen schert. Dann kann man wie Robèrt die Reichen nicht nur abziehen, man kann jeden Einzelnen von ihnen höchstpersönlich verarschen, einen nach dem anderen über den Hackstock legen und es ihnen von hinten besorgen, während sie aus dem Dankesagen gar nicht mehr rauskommen.
In Robèrts Restaurant erhält man für fünfundzwanzig Euro (damals etwa fünfunddreißig Dollar) ein paar Gramm kalter, ungewürzter Linsen auf einem sehr großen Teller. Linsen. Das war’s. Zwei Esslöffel Linsen, die sich nicht einmal durch ein Stück Karotte oder eine lasche Scheibe Zwiebel von dem Zeug unterscheiden, das der nächstbeste Junge mit Skateboard oder Hackysack gerade auf irgendeinem Parkplatz in Portland isst. Robèrts Lebensmittelkosten?
Vielleicht zwei Cent. Sie dürfen aber gern mit Essig und Öl würzen. Gibt’s gratis dazu.
Als
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