Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
Vom Netzwerk:
alten Tunten, die sich wahrscheinlich vor Lachen in die Hose machen, während sich ihre noch älteren reichen Kundinnen in ihre Outfits zwängen - was zu der Erkenntnis führt, dass die Trendsetter, die entscheiden, was die Welt im nächsten Jahr trägt, wer hübsch aussieht, was »in« ist und was »out«, allesamt dermaßen
niederträchtig sind, dass die schauerlichsten Fantasien, die Pfadfinder am Lagerfeuer austauschen, dagegen verblassen. Man braucht sich nur die Gastjuroren in den Modelshows Project Runway oder America’s Next Top Model anzusehen oder die erste Zuschauerreihe jeder beliebigen Modenschau, um sich ein Bild zu machen: unförmigere, weniger attraktive und schlechter gekleidete Kunden findet man wohl nicht einmal im Discounter. Rick James wäre in den Siebzigerjahren nie und nimmer damit durchgekommen, was Karl Lagerfeld Tag für Tag trägt - man hätte ihn von der Bühne gebuht. Würde Donatella Versace an Ihrer Schwelle auftauchen, um Ihnen Kosmetika zu verkaufen, würden Sie ihr die Tür vor der Nase zuschlagen, den Schlüssel zweimal umdrehen und gleich die Nachbarn anrufen, um sie zu warnen.
    Als ich mich am Strand umsah, erkannte ich, gespiegelt im vorurteilsschwangeren Lichte meines Unglücks, den Horror dieser Insel des Dr. Moreau, auf der ich freiwillig gestrandet war, in seinem ganzen Ausmaß. Das gesamte Spektrum verunglückter kosmetischer Operationen war hier offen zu begutachten, körperliche Kuriositäten, die auf niedrigerem Einkommensniveau an den hinteren Rand der Kirmes verbannt worden wären: hier ein einseitig abfallender Mund, dort jenseits jeder Glaubwürdigkeit aufgeblasene Lippen, mit golfballähnlichen Klumpen aufgefüllte Wangen, hier und da eine Stirn, deren Haut so festgezurrt ist, dass man Trommel darauf spielen könnte. Identische Nasen, Augen, die nicht blinzeln und sich kaum schließen können.
    Und da drüben meine Begleitung für den Abend in ihrem tausend Dollar teuren weißen T-Shirt. Sie suchte wieder einmal nach ihrem Handy.

    Es leuchtet ein, dass Gastronomen - und Robèrt - diesen Leuten auflauern. Und das sollten sie auch. Immerhin sind sie im Gewerbe der Gelüste tätig, müssen herausfinden, wie sich die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Klienten befriedigen lassen. Auf St. Barths suchen sie - wie wahrscheinlich überall - die Sicherheit, unter ihresgleichen zu sein. Sie wollen sicher sein, dass sie den richtigen Ort gewählt haben, den Ort, den alle anderen aus ihrer Rotte auch wählen. An dem wenigstens alle anderen Anwesenden die gemeinsame Illusion für bare Münze nehmen. An dem sie niemand mit der Nase auf das Offensichtliche stößt, nämlich, dass sie zu alt und zu hässlich sind für das, was sie da tragen. Dass die OP nichts bewirkt hat. Dass sie nicht tanzen können - und es unter keinen Umständen jemals wieder tun sollten. Dass sie Sachen essen, die der Putzjunge, der später nach Ladenschluss hinter ihnen ausfegt, nicht mit Gummihandschuhen oder Kneifzange anfassen würde. Dass die anderen Bewohner dieses Planeten, wenn sie wüssten, wer sie eigentlich sind und womit sie ihr Vermögen gemacht haben, ihre Köpfe auf Pfählen sammeln würden.
    Schließlich ging ich einfach.
    Nachdem sie zum vierten Mal ihr Handy verloren hatte, sah ich, wie sie betrunken im ganzen Raum nach möglichen Verdächtigen unter den Partygästen Ausschau hielt. Ihr wahnsinniger Blick blieb am Gefolge eines bekannten Gangsta-Rappers hängen, das die VIP-Ecke der mit einer Stoffmarkise überdachten Veranda in Beschlag genommen hatte. Genauer gesagt, an zwei sehr korpulenten Frauen mit Stiernacken und einer unfreundlichen Aura. Trotz vorgerückter Stunde trugen sie Sonnenbrille, und beide hätten
mich spielend fertigmachen können. In der Art Zeitlupe, die oft der Katastrophe vorangeht, beobachtete ich, wie sich meine Begleiterin vor den beiden Frauen aufbaute und anklagend zu wissen verlangte, wo ihr Handy sei.
    Die Musik war laut, deshalb hörte ich nicht, was sie antworteten. Aber angenommen, sie sagten: »Was zum Teufel soll ich mit deinem Handy, du Miststück?« oder: »Du beschuldigst uns, weil wir schwarz sind!«, so wären beide Feststellungen tadellos logisch gewesen. Ich war so angewidert, dass es mir mittlerweile egal war, ob man mich Wochen später womöglich mit abgesägten Füßen in einem Kanal finden würde. Es war mir gleichgültig, ob ich für meine Flucht später würde bezahlen müssen. Es war alles einfach zu schrecklich, als dass ich es hätte weiter

Weitere Kostenlose Bücher