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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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spielt indes wie die meisten englischsprachigen Illegalen seit Jahren klug mit dem System, nach einer althergebrachten Methode, die man in der Zuwanderungsbehörde gut kennt: hier und da ein paar Fortbildungsmaßnahmen (nebenher Schwarzarbeit), um das Studentenvisum zu erhalten. Verlängerung. Ein Arbeitsvisum. Ein »Farm«-Visum. Am Wochenende über die Grenze und dann dasselbe wieder von vorn. Eloquente Freunde mit guten Beziehungen, die Sorte Menschen also, die zum Beispiel jede Menge irischer Kneipen besitzen und Empfehlungsschreiben verfassen, in denen sie die unschätzbaren »Spezialkenntnisse« loben, über die ein einheimischer Barkeeper nicht verfügt. Aber das interessiert sowieso niemanden. Ich schweife ab …
    Bushmills oder Jameson, Celtics oder Rangers - das ist hier völlig ohne Bedeutung. Es ist eine nicht konfessionelle Bar. Niemand macht Unterschiede, niemand hebt auch nur die Augenbrauen. Es sind auch kaum Iren da, jetzt, wo ich darüber nachdenke. Und das Guinness ist natürlich übel.

    Der Besitzer hat zehn oder zwölf solcher Pubs. Alle sehen sie gleich aus, und alle heißen sie Paddy McGee’s oder Seamus O’Doul’s oder Molly Irgendwer - obwohl es keinen von den Typen je gegeben hat. Aber ich bin trotzdem gern hier.
    Der Billardtisch, die Jukebox, das unvermeidliche Dartboard, der Elchkopf, Spielzeugeisenbahnen, Yankeeflaggen, Fotos irischer Autoren, die nie hier waren und die hier niemand gelesen hat. Sie wollen ein Schwätzchen über Joyce oder Behan halten? Auf dem Regal steht eine gut abgestaubte Yeats-Büste, aber wehe, du rezitierst hier »Das zweite Kommen«, dann kannst du gleich wieder einpacken, du Schnösel.
    Wer kommt hierher?
    Büroangestellte, ohne Jackett, noch mit Krawatte oder umgekehrt im Jackett, ohne Krawatte. Restauranthilfen, die kurz für einen Drink weggegangen sind, Feierabend haben oder sich für die kommende Schicht stärken. Vom Leben niedergedrückt. Wohlgemerkt nicht gebrochen wie ein Bergmann oder ein arbeitsloser Stahlarbeiter, nur … unzufrieden darüber, wie sich ihr Leben so entwickelt hat. Heimgehen können sie noch nicht. Haben noch ein bisschen zu deutlich vor sich, wie es wäre, jetzt, in diesem Moment in den Zug zu steigen. Lieber die Bildränder noch ein bisschen absoften, ehe sie in ihr anderes Leben zurückkehren.
    Ich fühle mich hier zu Hause, bis Gnarls Barclays »Crazy« über den Lautsprecher ertönt. Das führt mich direkt zurück nach Beirut, wie immer, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es niemandem in dieser Bar gerade so geht wie mir - es ist nicht gerade ein posttraumatisches Stresssyndrom oder so etwas, so schlimm war es (für mich) auch wieder nicht. Ich
meine eher eine plötzliche Traurigkeit, das Gefühl, das Bewusstsein, plötzlich woanders zu sein … vor mir eine europäische, arabische Stadt am Mittelmeer, Raketen, die sich vom Horizont her nähern, träge über dem Flughafen schweben und dann mit einem verzögerten Knall einschlagen. Der Geruch brennenden Kerosins. Das Lied vermittelt mir vor allem das Gefühl, getrennt zu sein von denen, mit denen ich in einem anderen Leben, vor zehn Jahren, andernfalls an der Bar einen getrunken hätte.
    Ich werde in dieser Kneipe nie Stammgast sein. Oder in jeder anderen Kneipe. Nicht einmal in einer »Autoren«-Bar. Wer schon einmal auch nur zehn Minuten in so einer Kneipe verbracht hat - in Gesellschaft lauter verbitterter, reizbarer Arschlöcher mit ginroter Nase, aufgeblasenem Wanst und schneeweißem Haar, die zu laut reden, zu viel lachen, einander insgeheim verachten -, der überlegt sich, ob er überhaupt noch einmal ein Wort zu Papier bringen will.
    So sehr ich die Arbeit guter Schriftsteller bewundere, habe ich doch die Erfahrung gemacht, dass das Zusammensein mit mehr als einem von ihnen in etwa so viel Spaß macht wie in einem Käfig mit hungrigen, aber zahnlosen Zibetkatzen zu sitzen.
    »Du bist kein Küchenchef«, sagt der Junge an der Bar, eine andere Bar diesmal, eine »Chef’s Bar«, spät in der Nacht. Wahrscheinlich bin ich auf einer Lesereise und mit dem Küchenteam meines Hotels auf ein paar Drinks ausgegangen. Portland? Seattle? Vancouver? Wie soll man das noch wissen?
    »Du bist kein Küchenchef!«, wiederholt er mit verächtlichem Blick, unsicher auf den Füßen. »Du bist ja nicht einmal Koch!«

    Die anderen, die gerade eine lange Schicht in der Küche hinter sich gebracht haben, fühlen sich unwohl und zucken ein wenig zusammen. Sie mögen mich. Immerhin habe

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