Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
in und um New Orleans. Ich habe noch nie einen getroffen und vermute, dass es sich dabei um ein Feenvolk handelt, ähnlich wie Kobolde, und nicht um eine Volksgruppe. Die Vorstellung, dass man heutzutage irgendwo authentische kreolische Gerichte bekommt, ist ein Hirngespinst …
Was zum Teufel heißt überhaupt »authentisch«? Kreolisch ist schon per definitionem eine Küche und eine Kultur, die seit ihren Anfängen einem langsamen, aber ständigen Wandel unterliegt, das Ergebnis einer allmählichen, natürlichen Verschmelzung - ähnlich wie sich der Geschmack und die Zutaten in der singapurischen oder malaysischen Küche ändern, je nachdem, wer mit wem Kinder gemacht hat und wie lange. Der Begriff »authentisch« ist - wie Richman mit Sicherheit weiß - bei der Diskussion über indisches Curry oder brasilianische Feijoada sinnlos. Wann »authentisch«? Für wen? Aber es klingt gut und klug, nicht wahr?, und das ist das Wichtigste.
Nach Katrina war Küchenchef Donald Link vom Restaurant Herbsaint einer der ersten Unternehmer, die in die
Stadt zurückkehrten, kaum dass das Hochwasser abgeebbt war. Er schöpfte das Wasser aus den Ruinen seines Restaurants und eröffnete - sehr heldenhaft und gegen alle Widrigkeiten - ein neues Restaurant. Er stellte jeden ein, den er finden konnte, behalf sich mit Freiwilligen und servierte auf der Straße warme Mahlzeiten - was immer sich finden ließ. Damit sandte er zur rechten Zeit das wichtige Signal, dass New Orleans am Leben war und es sich lohnte zurückzukehren. Und Richman beschloss, genau dieses Restaurant niederzumachen.
Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich ein Jahr nach Richmans Artikel in New Orleans war. Die Stadt kämpfte immer noch, wieder auf die Beine zu kommen. Die großen Speiseräume und Bankettsäle von Antoine’s, dem beliebten Lokal, das im French Quarter eine Institution ist, waren größtenteils leer - und trotzdem machte man mit voller Besetzung weiter, weil man die Leute, die seit Jahrzehnten für das Restaurant gearbeitet hatten, nicht entlassen wollte. Jedem, mit dem ich sprach, kamen irgendwann die Tränen, die Leute erinnerten sich an Freunde, die sie verloren hatten, an ganze Viertel, die zerstört worden waren, an die vielen Leben, die vernichtet worden waren, und fingen an zu weinen. Manchmal wirkte es, als ob ganz New Orleans einen kollektiven Nervenzusammenbruch erlitten hätte; die Psyche war zuerst von der Katastrophe, dann von einem Gefühl des Verrats schwer mitgenommen worden. Wie konnte ein Land - ihr Land - zulassen, dass das geschah, dass ihre Nachbarn wie Vieh in einem stinkigen Stadion zusammengepfercht wurden und vor den Augen der Welt starben, aufquollen und verrotteten.
Wir haben es hier also mit besonderen Umständen zu tun, angesichts deren, sollte man zumindest meinen, sich selbst der abgebrühteste Journalist fragt: »Muss ich wirklich noch nachtreten, wenn jemand schon am Boden liegt?« Schließlich berichtete Richman nicht über Watergate - und deckte auch kein geheimes Nuklearwaffenprogramm der Iraner auf. Er schrieb über die Restaurants von New Orleans. Über eine Stadt, die größtenteils vom Dienstleistungssektor lebt. Eine Stadt auf dem Tiefpunkt, die besonders verwundbar war - direkt nach der größten Naturkatastrophe in der Geschichte der USA. Und er schrieb auch nicht für die Washington Post. Sondern für eine Zeitschrift, in der es um Krawatten und Schönheitsmittelchen und um die Wahl der richtigen Hose geht.
Aber egal. Der Wahrheit muss Genüge getan werden. Alan Richman weiß, was »authentische« kreolische Küche ist. Und er will verdammt noch mal, dass seine Leser es auch wissen.
Das allein war gewiss Grund genug, sich als Finalist für den Titel »Aufgeblasener Arsch des Jahres« zu qualifizieren, aber es gab noch seine Kolumne: Richmans »Empfehlungen für Restaurants«, in denen er gebieterisch (wenn auch durchaus geistreich) auflistet, was IHN stört und was die Restaurants, die sich weiter in Seiner Gnade sonnen wollen, ganz schnell ändern sollten. Restaurantkritiker, besonders so bekannte wie Richman, lieben natürlich solche Empfehlungen. Ihr Leben wird um einiges angenehmer, wenn sie ihre Vorlieben und Abneigungen bekannt geben, damit sich ihre Opfer danach richten können. Als neunzehntes Gebot verkündet Richman:
Wir wollen den Küchenchef sehen:
Wenn ein Essen für zwei Personen zweihundert Dollar kostet, kann der Gast mit gutem Recht erwarten, dass der Küchenchef selbst am Werk
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