Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
war. Restaurants, in denen sich der berühmte Starkoch den Abend freigenommen hat, sollten ähnlich wie die Broadway-Theater eine Notiz aushängen: »Die Rolle unseres bekannten Küchenchefs wird heute Abend von Souschef Willie Norkin übernommen, der ein Semester in Hauswirtschaft belegt hat und nicht kochen kann.«
Es gibt wohl kaum ein besseres Beispiel für hinterhältigen Gastrojournalismus.
Dieser billige Populismus ist umso ärgerlicher, als er von Richman stammt, weil er es besser weiß. Wenn jemand weiß, dass der Küchenchef nicht da ist und man auch nicht damit rechnen kann, dass er bald kommt - dann ist das Richman. Er lebt und arbeitet nicht in einem Vakuum. Er schreibt nicht in einem schalldichten Raum. Wie die anderen seiner Profession bewegt er sich in einer Halbwelt aus Autoren, Journalisten, Bloggern, Gourmets, Schmarotzern und Publizisten, die sich alle vom Sehen her kennen: ein großer Schwarm auf Wanderschaft, der in einer mehr oder weniger symbiotischen Beziehung zu den Küchenchefs steht. Richman erlebt schon seit Jahren, wie die Objekte seiner Berichterstattung von Wohltätigkeitsorganisationen, Stiftungen, »Berufsverbänden«, Förderern und Zeitschriften (sowie einigen Kollegen) in Beschlag genommen werden. Zweifellos haben sie sich oft direkt (aber inoffiziell) bei ihm beschwert. Ich bin mir sicher, Richman hat unzählige
Male müde auf eine von Fidji Water gesponserte Kochveranstaltung geblickt, hat die immer gleichen Hors-d’œuvres mit Thunfischtatar gegessen (zubereitet von einem armen Koch, der zwangsverpflichtet wurde) und die Zirkusvorführung der Köche angesehen. Er sollte die wirtschaftlichen Zwänge verstehen, denen die Restaurants, von denen er spricht, unterworfen sind.
Dennoch verlangt er (und erwartet, dass wir das glauben), dass jedes Mal, wenn in einem Restaurant von Bobby Flay eine Rechnung in Höhe von zweihundert Dollar zusammenkommt, Bobby persönlich herbeieilt und den Gästen die Tamales eigenhändig wickelt - und zum Dessert vielleicht kurz am Tisch vorbeischaut. Laut Richmans These müsste Thomas Keller unendlich viele Bonusmeilen sammeln, wenn er für die einzelnen Gänge in der French Laundry und im Per Se zwischen Ost- und Westküste hin- und her jettet. Vor allem, wenn Richman das Restaurant beehrt.
Der Vorschlag gründet auf einer widerwärtigen Lüge - einer richtig fetten, wenn nicht sogar DER großen Lüge -, zu deren Entstehung Richman fröhlich beigetragen hat und um deren Erhalt er sich täglich bemüht. Tja also … es macht sich deutlich besser in einem Artikel, wenn man das Essen mit einer Persönlichkeit verbindet. Richman hat zusammen mit den besten und schlechtesten seiner Kollegen diese Namen aufgebaut und aus ihnen Prominente gemacht, indem er die Illusion verbreitete, dass sie persönlich hinter dem Herd stehen - wenn man in eins der vielen Restaurants von Jean-Georges Vongerichten geht, steht er irgendwo hinten in der Küche, schwitzt höchstpersönlich über dem bestellten
Heilbutt und gibt eigenhändig genau die richtige Menge frisch gehackter Kräuter über das Gericht. Immer, wenn es in einem Artikel heißt: »Mr Batali liebt starke, kräftige Aromen …« (so zutreffend das auch sein mag) oder »Jean-Georges versteht sich gut auf Kräuter«, und man damit impliziert oder andeutet, dass tatsächlich Mr Batali oder Mr Vongerichten das Essen zubereitet hat, ignoriert man die Realität, wenn nicht sogar die historische Kommandostruktur und den kreativen Prozess in einer Restaurantküche. Die Große Lüge hilft zwar den Küchenchefs, weil sie Interesse weckt und zur Entstehung eines eigenen Profils beiträgt, sie verschweigt jedoch das eigentlich Großartige, das diese Leute auszeichnet: Es gibt viele tolle Köche auf der Welt - aber nicht so viele gute Küchenchefs.
Die Bezeichnung »Küchenchef« beinhaltet das Wort »Chef«. Ein Küchenchef ist ein Koch, der andere Köche führt. Diese Führungsqualitäten - die Fähigkeit, andere anzuleiten und zu inspirieren und Arbeiten zu delegieren - machen einen Küchenchef aus. Und Richman weiß das. Aber es liest sich natürlich viel besser (und schreibt sich leichter), wenn man zuerst eine Lüge propagiert und später mit gespielter Empörung die Realität attackiert.
Man könnte vermuten, dass Richmans Gehabe echte Verbitterung zugrunde liegt. Was bilden sich diese schmierigen kleinen Köche eigentlich ein, wie können sie es wagen, weitere Restaurants zu eröffnen? Wie können sie so …
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