Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen
vermute, dadurch lernen sie Disziplin. Heutzutage gibt es ja keine Disziplin mehr. Ich meine, schauen Sie sich doch die Kinder an. Sie nehmen Drogen. Gehen mit Waffen zur Schule.“
„Ja, ich glaube, die Sendung hilft den Kindern … gute Gewohnheiten zu entwickeln.“ Ich klang überraschenderweise wie Rena, der fanatische Sportguru unserer Sechsjährigen. Ich schwärmte über die Vorteile der Leibesertüchtigung und darüber, wie wichtig Disziplin sei. Und das alles unter den aufmerksamen Augen von Susan, die mit unermüdlichem Lächeln auf mich herabblickte.
Nachdem ich dann auch noch eine Grundsatzerklärung über die ordentliche Erziehung von Kindern abgegeben hatte, war ich ziemlich erschöpft. Und von mir selbst total angeekelt.
Die Stevens hingegen – zumindest Mr. Und Mrs. – waren total erfreut, genauso wie Kirk, der mich stolz anstrahlte. Das Leuchten in seinen Augen zeigte mir, dass ich soeben ein großes Hindernis überwunden hatte. Doch warum fühlte ich mich dann so, als ob ich auf der anderen Seite in einen Wassergraben gefallen wäre?
Schlimmer noch, ich hatte das Gefühl, jemanden mit mir gerissen zu haben.
„Du hättest von einem solchen Programm vielleicht auch profitieren können, Kayla“, sagte Mr. Stevens genau in dem Moment zu ihr, als sie die Schüssel mit den Nüssen vom Tisch nahm. „Ich hab doch immer gesagt, dass wir sie als Kind hätten ermutigen sollen, mehr Sport zu treiben, Carol. Sieh sie dir nur an!“
Ich sah für den Bruchteil einer Sekunde die Verletzung in Kaylas Augen, bevor sie streitlustig eine Handvoll Nüsse nahm und sich eine nach der anderen in den Mund warf, während sie ihren Vater anstarrte.
„Deswegen sind Sie wahrscheinlich so gut in Form, Angela.“ Mrs. Stevens ignorierte die Anspielung ihres Mannes auf ihre fehlgeschlagene Kindererziehung. „Sieh dir ihr Arme an, Phil.“
Ich warf Kayla einen entschuldigenden Blick zu, obwohl ich nicht sicher war, wofür ich mich entschuldigen sollte. Für ihre Eltern? Oder meine trainierten Arme?
Zum Glück trug Kayla es mir nicht nach. „Wie ich gehört habe, wohnst du im East Village“, sagte sie, nachdem sei eine weitere Hand voll Nüsse verspeist hatte.
„Ja, ja, das stimmt.“ Das war ein Thema, mit dem ich was anfangen konnte! Schließlich war ich stolz auf die Gegend, in der ich wohnte, mit all ihrer kulturellen Vielfalt und dem unkonventionellen Charakter.
„Ich
liebe
das East Village“, sagte sie. „Ich habe sogar mal eine Show in einem meiner Lieblingsclubs gemacht – im
P.S. 122
.“
„Dann bist du also Performancekünstlerin und Fotografin?“ Ich dachte an die Fotografie von ihr, die im
Smithsonian
ausgestellt war.
„Ich würde sagen, sie ist eine Exhibitionistin!“ sagte Mr. Smith.
Offenbar dacht Mr. Smith an dasselbe Foto.
Kayla ignorierte ihn. „Ich habe das nur einmal gemacht. Hast du schon mal von der Show
Entblöße deinen Körper, entblöße deine Seele
gehört?“
Ich hatte nicht nur davon gehört, sondern sie auch gesehen. „Das warst
du
?“
„Ach du lieber Gott, sagen Sie jetzt nicht, dass Sie solchen Schmutz auch noch unterstützen!“ rief Mrs. Stevens. Selbst Susan schien jetzt nur noch wenig Glanz in den Augen zu haben, wie mir auffiel, als ich zu dem Bild hinaufblickte.
„Also, nur das eine Mal …“ Um ehrlich zu sein, hatte ich die Show ein wenig peinlich gefunden, obwohl ich den Mut der sechs Künstlerinnen bewunderte, die komplett nackt auf die Bühne gekommen waren und Geschichten von Unterdrückung und männlicher Dominanz erzählt hatten. Für meinen Geschmack war das Ganze ein wenig zu … boshaft, aber immerhin hatte ich 24.50 $ für die Eintrittskarte berappt.
Danach gelang es mir nicht mehr, mich richtig ins Gespräch einzubringen, das stundenlang weiterzugehen schien. Überflüssig zu erwähnen, dass ich enorm erleichtert war, als Kayla Mrs. Stevens mitten in einer Hetzrede über fehlende familiäre Werte der Unverheirateten ab dreißig (also ich, Kayla und im Übrigen auch Kirk) unterbrach und vorschlug, in die Stadt zu fahren.
„Lass uns Angela die Gegend zeigen“, sagte sie zu Kirk, der sofort aufsprang, offenbar ganz wild darauf, seinen Eltern zu entfliehen. „Außerdem“, sagte Kayla an ihre Mutter gewandt, „brauchst du für morgen noch Brot. Du kaufst
nie
genug.“
„Nun, wenn du selbst nicht so viel davon essen würdest, hätten wir genug“, brummte Mr. Stevens, doch Kayla hatte bereits die Schlüssel geschnappt und lief auf die
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