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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Fräulein wieder einmal lacht!
Nun! Sie werden ja sehen, wer recht hat! Essen Sie, essen Sie von
dem, was Sie haben, und warten Sie nicht auf Dinge, die vielleicht
nie kommen werden.«
    Als die Köchin gegangen war, fühlte Jeanne, noch immer lachend,
lebhafte Neigung zu sprechen.
    »Du bist doch ein rechter Feinschmecker,« sagte sie, »ich bin in
der Küche gewesen … «
    Aber sie unterbrach sich.
    »Oh, nicht doch! Man darf es ihm nicht sagen, nicht wahr, Mama?
Es ist nichts, durchaus nichts mehr da. Ich habe bloß gelacht, um
dich zum besten zu haben.«
    Diese Szene wiederholte sich alle Dienstage und
hatte immer den gleichen Erfolg. Helene war
gerührt von der Leutseligkeit, mit der Herr Rambaud diese Scherze
aufnahm, denn sie wußte nicht, daß er lange mit provenzalischer
Genügsamkeit von Fisch und einem halben Dutzend Oliven gelebt
hatte. Was den Abbé Jouve anging, so wußte er niemals, was er aß;
man hänselte ihn oft mit seiner Unwissenheit und Vergeßlichkeit.
Heute war der Abbé übrigens zerstreuter als sonst; er aß mit der
Hast eines Menschen, den die Tafel langweilt und der bei sich zu
Hause im Stehen das Essen zu sich nimmt. Dann wartete er
geistesabwesend, bis die anderen fertig waren, und antwortete bloß
mit einem Lächeln. Alle Minuten warf er auf seinen Bruder einen
Blick, in dem Ermutigung und Unruhe zugleich lagen. Herr Rambaud
schien ebenfalls seine übliche Ruhe verloren zu haben, aber seine
Verlegenheit verriet sich durch ein Bedürfnis zu sprechen und auf
seinem Stuhl herumzurücken. Im Eßzimmer war es zum Ersticken heiß.
Helene fühlte, daß die Stimmung nicht die gleiche war, vielmehr
zwischen den beiden Brüdern etwas vorging, was sie nicht sagten.
Sie sah sie aufmerksam an, dann sagte sie leise:
    »Herrgott! Ein furchtbarer Regen! – Nicht wahr? Das stört Sie?
Sie scheinen bedrückt zu sein!«
    Aber sie verneinten und bemühten sich beide, sie zu beruhigen.
Und als Rosalie mit einer ungeheuren Schüssel kam, rief Herr
Rambaud, um seine Erregung zu verbergen:
    »Was hab ich gesagt? Noch eine Überraschung!«
    Die Überraschung bestand heute in Vanillencreme, einem der
Triumphe von Rosaliens Kochkunst. Oh! das breite, stumme Lachen,
mit welchem sie die Schüssel auf den Tisch setzte! Jeanne klatschte
in die Händchen:
    »Ich wußte's! ich wußte's! Ich hatte die Eier
in der Küche gesehen.«
    »Aber ich habe keinen Hunger mehr!« rief Herr Rambaud
verzweifelt. »Es ist mir nicht möglich, auch nur noch einen Bissen
herunterzubringen.«
    Da wurde Rosalie energisch.
    »Wie! Eine Cremespeise, die ich extra für Sie gemacht habe! –
Nun! versuchen Sie doch! – versuchen Sie!«
    Er ergab sich und nahm ein großes Stück. Der Abbé blieb
zerstreut. Er drehte seine Serviette und erhob sich, bevor noch das
Dessert abgedeckt war. Eine Weile ging er, den Kopf auf die
Schulter geneigt, umher. Als dann auch Helene von der Tafel
aufstand, warf er Herrn Rambaud einen Blick des Einverständnisses
zu und führte die junge Frau ins Schlafzimmer. Durch die offen
gelassene Tür vernahm man alsbald ihre leisen Stimmen.
    Der Abbé war im Grunde des Zimmers im hellen Schatten
stehengeblieben. Helene hatte ihren gewohnten Platz am Fenster
wieder eingenommen, und da sie sich dienstags vor ihren Freunden
nicht genierte, arbeitete sie. Man sah nur ihre blassen Hände, die
ein Kinderhäubchen nähten, unter dem runden Fleck lebhafter
Helligkeit.
    »Macht Ihnen Jeanne keine Sorge mehr?« fragte der Abbé.
    Sie hob aufmerksam den Kopf.
    »Doktor Deberle scheint zufrieden zu sein,« meinte sie. »Aber
das arme Ding ist noch sehr nervös. Gestern hab ich sie bewußtlos
auf dem Stuhle gefunden.«
    »Das Kind hat nicht genügend Bewegung,« erwiderte der Priester.
»Sie schließen sie zu viel ab, Sie führen eben kein Leben wie
andere Leute!«
    Er schwieg. Es trat eine Pause ein. Ohne
Zweifel hatte er den Ton der Überzeugung gefunden, den er suchte.
Im Augenblick des Sprechens sammelte er sich, nahm einen Stuhl,
setzte sich neben Helene und sagte:
    »Hören Sie, meine teure Tochter, ich wünsche schon seit einiger
Zeit einmal ernstlich mit Ihnen zu reden. Das Leben, das Sie hier
führen, ist nicht gut. In Ihrem Alter soll man sich nicht
abschließen, wie Sie es tun. Dieser Verzicht ist gleich schlimm für
Ihr Kind wie für Sie. Es gibt tausenderlei Gefahren für die
Gesundheit, auch Gefahren anderer Natur … «
    Helene hätte erstaunt aufgesehen.
    »Was wollen Sie damit sagen, lieber Freund?«
    »Du mein

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