Ein Blatt Liebe
sind wir einig?«
Rambaud hatte seine Hand aus der ihrigen gelöst und suchte nach
seinem Hute. Erst als er den Fuß aus der Türe setzen wollte, fand
er Worte.
»Hören Sie!« sagte er leise, »Sie wissen jetzt, daß ich da bin,
nicht wahr? Nun! sagen Sie, daß ich immer dasein werde, mag kommen,
was da will!… In zehn Jahren, wenn Sie wollen. Sie werden nur einen
Wink zu geben brauchen… «
Zum letzten Male faßte er Helenes Hand und drückte sie heftig.
Auf der Treppe drehten sich nach alter Gewohnheit die Brüder um und
sagten:
»Auf nächsten Dienstag.«
»Ja, Dienstag,« gab Helene zurück.
Als sie ins Zimmer zurückkam, hörte sie das Getöse eines neuen
Platzregens, der an die Jalousien schlug. War das ein hartnäckiger
Regen! Wie naß ihre armen Freunde würden! Sie öffnete das Fenster
und warf einen Blick auf die Straße. Mitten unter den blanken
Güssen sah sie den rundlichen Rücken des Herrn Rambaud, der, ohne
sich um diese Sintflut zu kümmern, glücklich tänzelnd durch die
Finsternis schritt.
Kapitel 7
Es war ein Monat von wunderlieblicher Milde. Die Aprilsonne
hatte den Garten mit einem matten Grün überkleidet, leicht und zart
wie eine Spitze. Gegen das Gitter trieben die losen Zweige der
Waldreben ihre feinen Schößlinge, während die Geißblattknospen
einen zarten, fast zuckersüßen Duft verströmten. An den Rändern des
sorgsam gepflegten Rasens blühten rote Geranien und weiße
Vierblattblumen. Im Hintergrunde breitete zwischen den Hintermauern
der Nachbarhäuser das grüne Laubdach seine Zweige, deren kleine
Blätter beim leisesten Windhauch zitterten.
Während dreier Wochen wölbte sich der Himmel ohne ein einziges
Wölkchen. Es war ein wahres Frühlingswunder, das die zurückkehrende
Jugend feierte, die Helenes Herz durchbebte. An jedem Nachmittage
stieg sie mit Jeanne in den Garten. Ihr Platz war neben der ersten
Ulme. Ein Stuhl erwartete sie, und am andern Morgen fand sie auf
dem Kiespfade noch die Fadenenden ihrer Näharbeit vom gestrigen
Abend.
»Sie sind hier zu Hause,« sagte an jedem Abend Frau Deberle, die
für Helene eine jener Passionen fühlte, die ein halbes Jahr
anzuhalten pflegten. »Auf Wiedersehen, morgen früh kommen Sie doch
bitte ein wenig früher!«
Und Helene fühlte sich wirklich zu Hause. Sie gewöhnte sich an
diesen Laubwinkel. Sie wartete mit der Ungeduld eines Kindes auf
die Stunde, hinunterzugehen. Was sie an
diesem bürgerlichen Garten entzückte, war vor allem die
Gepflegtheit von Rasen und Bäumen. Kein verstreuter Halm störte im
Laub. Die alle Morgen geharkten Gänge waren weich wie ein Teppich.
Helene lebte dort ruhig und in sich gekehrt. Unter dem dichten
Schatten der Ulmen, in diesem verschwiegenen Parterre, welches die
Gegenwart der Frau Deberle mit einem diskreten Parfüm schwängerte,
konnte sie meinen, in einem Salon zu sein. Der ungehinderte Blick
auf den Himmel ließ sie die Luft freier ein- und ausatmen.
Als sich Helene eines Abends verabschiedete, sagte Juliette:
»Ich muß leider morgen ausgehen. Aber lassen Sie sich nicht
hindern, herunterzukommen. Warten Sie auf mich! Ich werde nicht
lange fortbleiben.«
So verlebte Helene einen köstlichen Nachmittag allein im Garten.
Über ihr hörte sie nichts als das Flattern der Sperlinge in den
Bäumen. Der ganze Liebreiz dieses kleinen Sonnenwinkels nahm sie
gefangen. Und von diesem Nachmittage an waren ihre köstlichsten
Stunden die, in denen die Freundin sie allein ließ.
Ihre Beziehungen zur Familie Deberle knüpften sich immer enger.
Sie aß bei ihnen zu Tisch, als Freundin, die man in dem Augenblick,
da man zu Tische gehen will, zum Bleiben nötigt. Wenn sie sich
unter den Ulmen länger aufhielt und Pierre von der Treppe aus
meldete, daß das Essen aufgetragen sei, nötigte Juliette die
Freundin, und manchmal willigte sie ein. Es waren
Familienmahlzeiten, aufgeheitert durch die Lustigkeit der Kinder.
Der Doktor Deberle und Helene schienen gute Freunde zu sein, deren
ausgeglichene, etwas kühle Temperamente miteinander
harmonierten.
Der Doktor kehrte jeden Nachmittag um sechs
Uhr von seinen Krankenbesuchen heim. Er fand dann die beiden Damen
im Garten und setzte sich zu ihnen. In der ersten Zeit hatte sich
Helene schnell zurückziehen wollen, um das Ehepaar allein zu
lassen. Aber Juliette war über diesen plötzlichen Aufbruch stets
unwillig gewesen. Wenn der Gatte kam, reichte ihm seine Frau die
Wange zum Kusse. Wenn Lucien ihm an den Beinen hinaufkletterte,
half er nach und
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