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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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rechts
und links vom Altar aufzustellen.
    »Oh! Mama! Mama!« flüsterte Jeanne begeistert.
    »Nun denn, lieber Freund!« lächelte Helene, »da Sie nicht kommen
können, werden wir Sie besuchen. Sie haben Jeanne mit Ihren Blumen
das Köpfchen verdreht.«
    Helene war nicht eben fromm, wohnte auch
niemals der Messe bei. Die Gesundheit ihres Töchterchens lasse es
nicht zu, denn Jeanne käme immer zitternd und bebend aus der
Kirche. Der alte Priester vermied es, mit ihr über Religion zu
sprechen. Er pflegte nur mit leutseliger Toleranz zu erklären, daß
sich die schönen Seelen ihr Heil durch ihre Weisheit und ihre
Barmherzigkeit allein schaffen. Gott würde sie schon eines Tages zu
finden wissen.
    Bis zum andern Morgen dachte Jeanne an nichts anderes als an den
Marienmonat. Sie fragte ihre Mutter aus und träumte von der mit
weißen Rosen, mit Tausenden von Kerzen, mit himmlischen Stimmen und
lieblichen Düften erfüllten Kirche. Und sie wollte neben dem Altare
stehen, das Spitzengewand der heiligen Jungfrau besser zu sehen.
Dies Gewand sei ein Vermögen wert, hatte der Abbé gesagt. Helene
beruhigte das Kind und drohte, sie nicht mitzunehmen, wenn sie sich
im voraus krank mache.
    Endlich gingen sie nach dem Abendessen fort. Die Nächte waren
noch kühl. Als sie in die Rue de l'Annonciation kamen, wo sich die
Notre-Dame-de-Grâce befindet, fröstelte das Kind.
    »Die Kirche ist geheizt,« sagte die Mutter; »wir werden uns
neben ein Heizrohr setzen.«
    Als sie die gepolsterte Tür aufgestoßen hatte, die sanft in ihr
Schloß zurückfiel, empfingen sie angenehme Wärme, helles Licht und
Gesang. Die Liturgie hatte begonnen. Als sie das Mittelschiff schon
besetzt sahen, wollte Helene an einer der Seitenwände entlang
gehen. Aber sie konnte dem Altare kaum näher kommen. Sie hielt
Jeanne an der Hand und schob sich geduldig vorwärts. Dann aber, als
sie erkannte, daß sie nicht bis nach vorn würde
vordringen können, setzten sie sich
schließlich auf die ersten besten freien Stühle. Eine Säule
verstellte ihnen den Blick auf den Chor.
    »Ich sehe nichts, Mama,« flüsterte die Kleine bekümmert. »Wir
haben einen schlechten Platz.«
    Helene hieß sie still sein. Das Kind begann zu quengeln. Sie sah
vor sich nichts als den breiten Rücken einer alten Dame. Als Helene
sich umwandte, hatte sich Jeanne auf ihren Stuhl gestellt.
    »Willst du wohl da herunter!« sagte sie leise. »Du bist
unausstehlich.«
    Aber Jeanne setzte ihren Kopf auf.
    »Höre doch, da ist Frau Deberle. Sie sitzt dort unten in der
Mitte. Sie macht uns Zeichen.«
    Verdrießlich schüttelte Helene die Kleine, die sich nicht setzen
wollte. Seit dem Balle hatte sie drei Tage unter tausenderlei
Vorwänden das Doktorhaus gemieden.
    »Mama!« fing Jeanne mit der Hartnäckigkeit des Kindes wieder an,
»sie sieht dich, sie wünscht dir guten Tag.«
    Da mußte Helene endlich grüßen. Die beiden Frauen nickten
einander zu. Frau Deberle in engstreifigem, mit weißen Spitzen
besetztem Seidenkleide saß in der Mitte des Kirchenschiffs, zwei
Schritte vom Chor, sehr frisch, sehr blendend. Sie hatte ihre
Schwester Pauline mitgenommen, die lebhaft winkte. Die Liturgie
nahm ihren Fortgang.
    »Sie wollen, daß du kommen sollst, du siehst es doch,« fuhr
Jeanne triumphierend fort.
    »Wir sitzen hier ganz gut … «
    »O Mama! wir wollen hingehen – sie haben zwei Stühle frei.«
    »Nein, steige herunter – setz dich!«
    Die Damen drüben kümmerten sich nicht im mindesten um die
Störung, die sie verursachten. Es schien ihnen vielmehr zu
gefallen, daß die Leute sich nach ihnen umdrehten. Endlich mußte
sich Helene fügen. Sie schob Jeanne, die sich mächtig freute, vor
sich her und versuchte, sich mit vor verhaltenem Ärger zitternden
Händen Durchgang zu schaffen. Die Andächtigen wieder wollten sich
nicht stören lassen und maßen sie mit wütenden Blicken und offenen
Mundes, ohne ihren Gesang zu unterbrechen. Helene arbeitete mitten
im Sturm der anschwellenden Stimmen. Wenn Jeanne nicht vorbeikommen
konnte, sah sie in all die leeren und schwarzen Münder und preßte
sich dicht an die Mutter. Endlich erreichten sie den vor dem Chore
freigelassenen Raum.
    »Kommen Sie doch!« flüsterte Frau Deberle. »Der Abbé hatte mir
gesagt, Sie würden kommen … ich habe Ihnen zwei Stühle frei
gehalten.«
    Helene dankte nur kurz und blätterte sogleich in ihrem
Gebetbüchlein. Juliette bewahrte durchaus weltlich ihre Anmut. Sie
saß hier, reizend und schwatzhaft wie in

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