Ein Blatt Liebe
zu
neigen schien, um ihrem Jesus zuzulächeln.
Helene wandte sich, von einer plötzlichen Unruhe ergriffen,
um:
»Du bist doch nicht krank, Jeanne?«
Das Kind war leichenblaß, seine Augen waren verschwommen. Jeanne
schien im Liebesstrom der Litanei dahinzutreiben und betrachtete
verzückt den Altar, sah die Rosen sich vervielfältigen und als
Regen herniederfallen.
»O nein! o nein! Mama! ich versichere dich, ich bin zufrieden,
sehr zufrieden,« flüsterte sie. »Wo ist denn dein Freund?«
Sie meinte den Abbé. Pauline bemerkte ihn; er stand in der
Chornische. Sie mußte Jeanne in die Höhe heben.
»Ah! ich sehe ihn, er sieht uns auch.«
Helene wechselte mit ihm ein
freundschaftliches Nicken. Es war für sie wie eine Gewißheit des
Friedens, und in duldsamer Glückseligkeit dämmerte sie dahin.
Weihrauchgefäße wurden vor dem Altare geschwenkt, leichter Rauch
stieg auf, und die Segnung der tief sich neigenden Gläubigen
beendete die Andacht. Helene blieb in einer glücklichen Betäubung
auf den Knien, als sie Frau Deberle sagen hörte:
»Es ist vorbei, laß uns gehen.«
Stühle wurden geschoben, ein Geräusch der scharrenden Füße
widerhallte am Gewölbe. Pauline hatte Jeannes Hand genommen. Mit
dem Kinde vorausgehend, fragte sie die Kleine aus.
»Du bist noch nie im Theater gewesen?«
»Nein! Ist's dort schön?«
Jeanne, deren Herz von schweren Seufzern bedrückt war,
schüttelte den Kopf. Es könnte nichts Schöneres geben. Aber Pauline
gab keine Antwort; sie hatte sich vor einen Priester gestellt, der
im Chorrock vorbeiging, und als er wenige Schritte vorüber war,
sagte sie laut, so daß zwei Büßerinnen sich umwandten:
»Oh! ein schöner Kopf!«
Helene schritt unterdessen an der Seite Juliettes durch die sich
nur langsam zerteilende Menge. Voller Zärtlichkeit, müde und
kraftlos, empfand sie es nicht mehr als unangenehm, so dicht neben
der Frau Henris zu gehen. Einen Augenblick streiften sich ihre
bloßen Handgelenke, und sie lachte.
»Es ist also abgemacht, nicht wahr?« fragte Frau Deberle,
»morgen abend dürfen wir auf Sie rechnen?«
Helene fand nicht die Kraft nein zu sagen. Auf der Straße würde
man weiter sehen. Endlich traten sie als die letzten aus der Kirche. Pauline und Jeanne warteten
schon auf dem Bürgersteig gegenüber. Eine weinerliche Stimme hielt
sie auf.
»Ach, meine liebe gute Dame! wie lange ist's doch her, daß ich
nicht das Glück gehabt habe, Sie zu sehen.«
Mutter Fetu bettelte an der Kirchentür. Sie vertrat Helene den
Weg, als ob sie ihr aufgepaßt hätte.
»Ach! ich bin sehr krank gewesen … noch immer da im
Bauche … Sie wissen ja … Jetzt ist's ganz so wie
Hammerschläge … Und nichts, nichts, meine liebe Dame …
Ich habe mich nicht getraut, es Ihnen sagen zu lassen … Möge
der liebe Gott es Ihnen vergelten!«
Helene hatte ihr ein Geldstück in die Hand gedrückt und
versprach, an sie zu denken.
»Ei!« sagte Frau Deberle stehenbleibend, »da spricht ja jemand
mit Pauline und Jeanne … Aber das ist ja Henri!«
»Ja, ja,« antwortete die Mutter Fetu, die mit
zusammengekniffenen Augen auf die beiden Damen sah, »es ist der
gute Doktor! Ich habe ihn während des ganzen Gottesdienstes
gesehen, er ist nicht vom Trottoir gewichen. Er hat gewiß auf Sie
gewartet … Oh! das ist ein heiliger Mann! Ich sage das, weil
es die Wahrheit vor Gott ist, der uns hört … Oh! ich kenne
Sie, gnädige Frau, Sie haben einen Gatten, der verdient glücklich
zu sein … Möge der Himmel Ihre Wünsche erhören! Mögen all
seine Segnungen über Sie kommen! Im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes!«
Und unter den tausend Furchen ihres Gesichtes, das verschrumpelt
war wie ein alter Apfel, wanderten ihre Rattenaugen unruhig und
boshaft zwischen Juliette und Helene hin und her, ohne daß man
wissen konnte, an wen sie sich eigentlich
wandte, wenn sie von dem »heiligen Mann« sprach.
Helene war durch Henris Zurückhaltung überrascht und gerührt. Er
wagte es kaum, sie anzusehen. Nachdem ihn seine Frau wegen seiner
religiösen Anschauungen, die ihn hinderten, in eine Kirche zu
gehen, geneckt hatte, äußerte er einfach, er sei, eine Zigarre
rauchend, gekommen, die Damen abzuholen. Helene wußte, daß er sie
hatte sehen wollen, um ihr zu zeigen, daß er noch ganz der Alte
sei. Ohne Zweifel hatte auch er sich gelobt, vernünftig zu sein.
Sie prüfte nicht, ob er ernst gegen sich selbst sein könnte. Als
sie in der Rue Vineuse das Ehepaar Deberle
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