Ein Blatt Liebe
verließ, entschloß sich
Helene fröhlich:
»Also! abgemacht; morgen abend um sieben.«
Und so knüpften sich die Beziehungen enger und enger. Ein
reizendes Leben nahm seinen Anfang. Helene war es, als ob Henri
sich nie vergessen hätte. Sie hatte es wohl nur geträumt. Sie
liebten sich, aber sie würden es sich nicht mehr sagen, sie würden
sich genügen lassen, es zu wissen.
Abend für Abend gingen jetzt die beiden Frauen zur Kirche. Frau
Deberle war über die neue Zerstreuung entzückt, die in die Ball-,
Konzert- und Theaterabende ein wenig Abwechslung brachte. Neue
Zerstreuungen schätzte Frau Deberle außerordentlich; man sah sie
jetzt nur noch mit frommen Schwestern und Priestern. Und Helene,
ohne jede fromme Erziehung aufgewachsen, überließ sich dem Reiz der
Andachten des Marienmonats, glücklich über die Freude, die auch
Jeanne darüber zu empfinden schien. Man aß früher zu Tisch, brachte
Rosalie aus aller Ordnung, um nicht zu spät zu kommen und einen
schlechten Platz zu finden. Im Vorbeigehen holte man Juliette ab. Eines Tages war Lucien mit in der
Kirche. Er hatte sich aber so schlecht aufgeführt, daß er künftig
zu Hause bleiben mußte. Beim Eintritt in die warme, von Kerzen
funkelnde Kirche hatte man die Empfindung weicher Gelöstheit, die
Helene allmählich nicht mehr missen mochte. Wenn sie tagsüber
Zweifel hatte, wenn sie beim Gedanken an Henri eine unbestimmte
Angst befiel – die Kirche schläferte sie abends wieder ein. Der
Gesang schwoll an mit dem Überschäumen göttlicher Passion. Die
frischgeschnittenen Blumen verdickten mit ihrem Dufte die heiße
Luft unter dem Gewölbe. Hier atmete sie die erste Trunkenheit des
Frühlings, die Verehrung des bis zur Vergöttlichung erhöhten
Weibes, und berauschte sich angesichts der mit weißen Rosen
gekrönten Jungfrau und Mutter Maria an diesem Mysterium der Liebe
und Reinheit. Mit jedem Tage blieb sie länger auf den Knien. Und
wenn die Feier vorüber war, folgte die Süßigkeit des Heimweges.
Henri wartete an der Tür, die Abende wurden milder. Man ging durch
die schwarzen, schweigenden Straßen von Passy, während man nur
selten ein Wort wechselte.
»Sie werden ja fromm, meine Liebe,« sagte Frau Deberle eines
Abends lachend.
Wirklich. Helene ließ die Frömmigkeit in ihr weit geöffnetes
Herz einziehen. Niemals hätte sie geglaubt, daß es so herrlich
wäre, zu lieben und geliebt zu werden. Sie ging dorthin, wie an
eine Stätte der Zärtlichkeit, wo es erlaubt war, die Augen feucht
zu haben und versunken in stumme Anbetung zu verweilen. Sie hatte
das Bedürfnis, zu glauben, und war verzückt in der göttlichen
Barmherzigkeit.
Juliette neckte nicht bloß Helene, sie behauptete, daß auch
Henri es plötzlich mit dem Frommsein habe. Käme er doch jetzt sogar in die Kirche, um auf sie zu
warten! Er, ein Atheist, welcher erklärte, die Seele an der Spitze
seines Seziermessers gesucht und nicht gefunden zu haben! Sobald
sie ihn hinter der Kanzel, an die Rückseite einer Säule gelehnt,
gewahrte, stieß Juliette Helene am Ellbogen.
»Sehen Sie doch, da ist er schon … Sie wissen doch, daß er
nicht einmal hat beichten wollen, hervor wir zum Altar traten. Er
hat ein unbezahlbares Gesicht, er sieht uns so urdrollig an.
Schauen Sie doch nur!«
Die Feier ging dem Ende zu, der Weihrauch dampfte, und die Orgel
sandte ihre lieblichsten Klänge durchs Kirchenschiff.
»Ja, ja, ich sehe ihn,« stotterte Helene, ohne die Augen
hinzuwenden.
Sie hatte ihn beim brausenden Hosianna erraten. Henris Atem
schien ihr auf den Flügeln des Gesanges bis zu ihrem Nacken zu
dringen. Sie glaubte, hinter sich seine Blicke zu fühlen, die den
Kirchenraum erhellten und sie mit goldenen Strahlen umhüllten. Da
betete sie mit einer so starken Inbrunst, daß ihr die Worte
mangelten. Der Doktor aber wahrte die ernste, strenge Würde eines
Ehemanns, der zwei Damen beim lieben Gott abholte, gerade so, als
wenn er sie im Theaterfoyer erwartete.
Nach vierzehn Tagen war Frau Deberle der Sache überdrüssig.
Jetzt widmete sie sich den Wohltätigkeitsbasars. Sie stieg an die
sechzig Treppen, um bei bekannten Malern Bilder zu betteln, und
abends mit der Klingel in der Hand wohltätigen Damen zu
präsidieren. So traf es sich, daß Helene und ihr Töchterchen sich
eines Abends allein in der Kirche fanden. Als nach der Predigt die
Sänger das Magnifikat anstimmten, wandte die junge Frau, durch
ein Klopfen ihres Herzens gemahnt, den
Kopf. Henri war an seinem gewohnten Platze.
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