Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Da blieb sie in der
Erwartung der Heimkehr bis zum Ende der Feierlichkeit auf den
Knien.
    »Ach! ist das reizend, daß Sie gekommen sind!« rief Jeanne am
Ausgange mit kindlicher Vertrautheit. »Ich würde mich in diesen
dunklen Straßen gefürchtet haben.«
    Henri spielte den Überraschten. Er gab vor, seine Frau hier
treffen zu wollen. Helene ließ die Kleine antworten; sie folgte den
beiden ohne zu sprechen. Als sie unter das Kirchportal traten,
klagte eine Stimme:
    »Ein Almosen, Gott wird's Ihnen lohnen.«
    Allabendlich ließ Jeanne ein Zehnsoustück in die Hand der Mutter
Fetu gleiten. Als die Alte heute den Doktor mit Helene allein sah,
schüttelte sie bloß verständnisinnig den Kopf, anstatt wie
gewöhnlich geräuschvolle Dankesworte zu leiern. Als die Kirche sich
geleert hätte, schickte sie sich mit ihren schweren Beinen an,
ihnen, dumpfe Worte murmelnd, zu folgen. Anstatt durch die Rue de
Passy zurückzukehren, wählten die Damen, wenn die Nacht schön war,
wohl auch den Weg durch die Rue Raynouard, um so den Weg um ein
paar Minuten zu verlängern. An diesem Abend nahm Helene die Rue
Raynouard. Begierig nach Schatten und Schweigen, folgte sie dem
Reiz dieser langen, einsamen Straße, die in weiten Abständen von
einer Gasflamme erleuchtet war, ohne daß sich der Schatten eines
Wanderers auf dem Pflaster bewegte.
    In diesem abgelegenen Winkel schlief Passy bereits mit dem
geruhsamen Atem einer Provinzstadt. Zu beiden Seiten des
Bürgersteigs zogen sich Häuser hin; Mädchenpensionate, schwarz und
düster, Gast- und Speisehäuser, aus deren Küchen noch Licht drang.
Diese Einsamkeit war für Helene und Henri
eine große Freude. Er hatte sich nicht einmal getraut, ihr den Arm
anzubieten. Jeanne ging zwischen ihnen mitten auf der wie eine
Allee mit Kies beschütteten Straße. Die Häuser hörten auf, Mauern
dehnten sich, von denen Mäntel wilder Reben und blühende
Holunderbüsche herabhingen.
    Der Schritt der Mutter Fetu hinter ihnen schien das Echo der
ihrigen zu sein. Sie kam näher; man hörte das unaufhörliche Murmeln
des Ave Maria, gratia plena. Mutter Fetu betete auf dem
Nachhauseweg ihren Rosenkranz.
    »Ich habe noch ein Geldstück; darf ich's ihr geben?« fragte
Jeanne.
    Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, entschlüpfte sie und lief der
alten Frau nach, die eben in die Passage des Eaux einbiegen wollte.
Die Fetu nahm das Geld, alle Heiligen des Himmels herabflehend.
Aber dann, sie hatte schon die Hand des Kindes erfaßt, fragte sie
mit veränderter Stimme:
    »Ist denn die andere Dame krank?«
    »Nein!« antwortete Jeanne verwundert.
    »Ach! möge der Himmel sie bewahren! Möge er sie überschütten mit
Segnungen, sie und ihren Mann! … Nicht so eilig, mein liebes,
kleines Fräulein. Lassen Sie mich ein Ave für Ihre Mama beten und
antworten Sie mit Amen … Mama erlaubt es Ihnen … Sie
werden sie schnell einholen!«
    Helene und Henri waren indes, zitternd, sich so plötzlich allein
zu finden, im Schatten einer Kastanienreihe stehengeblieben. Sie
taten langsam ein paar Schritte; die Kastanien hatten einen Regen
ihrer kleinen Blüten abgeschüttelt, und auf diesem rosigen Teppich
schritt das Paar dahin. Dann blieben sie
stehen; ihr Herz war zu voll.
    »Verzeihen Sie mir!« sagte Henri schlicht.
    »Ja, ja,« stammelte Helene. »Ich bitte Sie bloß, schweigen
Sie!«
    Sie hatte seine Hand gefühlt, die die ihrige streifte, und wich
zurück. Jetzt kam Jeanne herbeigelaufen.
    »Mama, Mama! sie hat mich ein Ave beten lassen, auf daß dir
Glück und Segen blühe!«
    Alle drei bogen in die Rue Vineuse, während Mutter Fetu die
Treppe der Passage des Eaux hinunterstieg und ihren Rosenkranz zu
Ende betete.
    Der Monat verging. Frau Deberle kam noch ein paarmal zu den
Exerzitien. An einem Sonntage, dem letzten, wagte Henri noch einmal
auf Helene und Jeanne zu warten. Die Heimkehr war köstlich. Dieser
Mai war in ungewöhnlicher Süße dahingegangen. Die kleine Kirche
schien eigens dazu gebaut, Leidenschaften zu sänftigen. Helene
hatte sich zuerst beruhigt, glücklich über diesen Zufluchtsort des
Glaubens, wo sie ohne Scham leben konnte. Henri blieb
zurückhaltend, aber sie sah gar wohl die Flamme und fürchtete
irgendeinen Ausbruch der wahnwitzigen Begierde. Von heftigen
Fieberanfällen geschüttelt, machte sie sich selber Furcht. Als sie
eines Nachmittags vom Spaziergang mit Jeanne heimkehrte, bog sie in
die Rue de l'Annonciation und trat in die Kirche. Jeanne klagte
über große Müdigkeit.
    Bis zum

Weitere Kostenlose Bücher