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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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persönlich von dieser
Doktorsfrau betrogen würde.
    Es demütigte sie um Henris willen, und tolle Eifersucht packte
sie. Sie mußte unbedingt wissen, was Henri in diesem Augenblick tat
und sprach. Sie erhob sich, suchte im Saale und fand ihn
endlich.
    Doktor Deberle plauderte im Stehen mit einem hochgewachsenen
Herrn. Er war sehr ruhig, seine Miene zeigte Zufriedenheit, und
sein Lächeln hatte den gewohnten Zug höflicher Aufmerksamkeit. Sie
hatte unsagbares Mitleid mit ihm, und in ihrer uneingestandenen
Beschützerrolle wuchs ihre Liebe zu ihm. Ein unbestimmter Gedanke
sagte ihr, daß sie, Helene, den Freund nun für das verlorene
Eheglück schadlos halten müsse.
    Henri schien sie zu übersehen, hatte sich ihr auch nicht mehr
genähert, nur zuweilen lächelte er ihr von weitem zu. Zu Beginn des
Abends hatte sie sich erleichtert gefühlt, ihn so vernünftig zu
sehen. Aber seit sie nun wußte, wie es um die beiden anderen stand,
hätte sie sich nun einen Beweis seiner Zärtlichkeit gewünscht,
selbst auf die Gefahr hin, bloßgestellt zu werden. Liebte er sie
denn nicht mehr, daß er so kalt blieb?
Ach! Wenn sie ihm nur alles hätte sagen, wenn sie ihm die Schmach
dieses Weibes, das seinen Namen trug, hätte offenbaren können!
Während das Piano drüben lustige Weisen erklingen ließ, wiegte ein
Traum sie ein: Henri hatte Juliette verstoßen, und sie, Helene, war
mit ihm als seine rechtmäßige Frau in einem fernen Lande, dessen
Sprache sie nicht verstanden…
    Eine Stimme schreckte sie auf.
    »Nehmen Sie denn gar nichts?« Es war Pauline.
    Der Salon hatte sich geleert. Man war zum Tee ins Eßzimmer
gegangen. Helene erhob sich mühsam. Alles kreiste in einem Wirbel.
Sie glaubte, daß sie die vorhin belauschten Worte, diesen
kaltlächelnd friedlichen Bruch einer bürgerlichen Ehe nur geträumt
habe. Wenn das alles wahr wäre, würde Henri bei ihr sein und sie
gemeinsam dieses Haus verlassen haben.
    »Sie nehmen doch eine Tasse Tee?«
    Helene dankte lächelnd Frau Deberle, die ihr am Tische einen
Stuhl aufgehoben hatte. Schalen mit Gebäck und Zuckerwerk bedeckten
den Tisch, indes ein großer und einige kleinere Kuchen kunstreich
auf Tellern aufgebaut waren. Es war recht eng. Die Teetassen,
zwischen denen graue Servietten mit langen Fransen lagen, drängten
sich aneinander. Nur die Damen konnten Platz finden. Einige hatten
sich die Mühe gemacht, die Herren zu bedienen. Diese tranken
entlang den Wänden im Stehen und mußten Obacht geben, sich nicht
gegenseitig durch unfreiwillige Ellbogenstöße in Gefahr zu bringen.
Andere wieder, die in den Salons zurückgeblieben wären, warteten
geduldig, bis die Kuchenschale auch zu ihnen gewandert war. Pauline
feierte Triumphe. Man plauderte lebhafter, silberhelles Lachen
klang auf.
    »Reichen Sie mir doch bitte den Kuchen,« bat
Fräulein Aurélie, die neben Helene zu sitzen kam. »All dies
Zuckerzeug ist nicht das Richtige.«
    Sie hätte schon zwei Schalen geleert und sagte, zufrieden mit
vollem Munde kauend:
    »Ah, die Leute gehen ja … jetzt wird's endlich gemütlich
werden.«
    Wirklich begannen einige Damen sich zu verabschieden und
drückten Frau Deberle die Hand. Viele hatten sich schon heimlich
empfohlen. Der Raum wurde leer, und die Herren setzten sich
ihrerseits an den Tisch. Nur Fräulein Aurélie wich und wankte
nicht. Sie hätte noch gar zu gern ein Glas Punsch getrunken.
    »Ich will Ihnen eins verschaffen,« sagte Helene und erhob
sich.
    »O nein, danke. Bemühen Sie sich doch meinetwegen nicht.«
    Seit einer Weile überwachte Helene den schönen Malignon. Er
hatte soeben dem Doktor die Hand gedrückt und grüßte jetzt Juliette
in der Tür. Es war ihm nichts anzumerken. Sein Gesicht war blaß und
ruhig, die Augen klar, und bei seinem konventionellen Lächeln hätte
man glauben können, daß er die Gastgeberin soeben zu dem gelungenen
Abend beglückwünsche. Als Pierre auf einer Anrichte unfern der Tür
den Punsch eingoß, wußte es Helene so einzurichten, daß sie sich
hinter der Portiere verbergen konnte. Sie lauschte.
    »Ich bitte Sie,« flüsterte Malignon, »kommen Sie am
Nachmittag … Ich werde Sie um drei Uhr erwarten … «
    »Sie glauben das doch wohl nicht im Ernst,« lachte Frau Deberle
laut … »Was reden Sie da für Dummheiten?«
    Malignon ließ nicht locker.
    »Ich warte also auf Sie … Kommen Sie am Nachmittag …
Sie wissen doch, wo es ist?«
    »Nun ja denn, also am Nachmittag,« flüsterte Juliette
hastig.
    Malignon verneigte sich und

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