Ein Blatt Liebe
treffen? Warum nicht eine andere? Ich hatte ja
nichts dazu getan … Ich glaubte mich wohl behütet …
Und wenn Sie wüßten! Ich kenne mich nicht
wieder… Helfen Sie mir! Retten Sie mich… «
»Der Name? Nennen Sie mir den Namen!« richtete der Priester mit
der Freiheit des Beichtigers die Frage an sie.
Helene zögerte. Ihr Blick streifte Herrn Rambaud, der sich noch
immer an der Puppe zu schaffen machte und nun mit vertrauensvollem
Lächeln herübersah. Jeanne schlief noch immer.
Da beugte sich Helene zu ihrem Beichtiger und flüsterte ihm
einen Namen ins Ohr. Der Priester verharrte unbeweglich. Im
Schatten war sein Gesicht nicht zu erkennen. Endlich sagte er:
»Ich wußte es, aber ich wollte das Geständnis aus Ihrem Munde
hören. Meine Tochter, Sie müssen sehr viel leiden.«
Helene, in sich zusammengesunken, vom Mitleid des Seelsorgers
erschüttert, folgte wieder den Funken, die den dunklen Mantel von
Paris mit ihrem Golde betupften. Diese Funken vervielfältigten sich
ins Unendliche, vom Trocadero bis zum Herzen der Stadt, dann links
am Montmartre hinauf, endlich nach rechts hinter dem Invalidendom
und den Seiten des Pantheon.
»Sie erinnern sich unseres Gesprächs,« begann der Abbé
bedächtig, »ich habe meine Meinung nicht geändert. Sie müssen
wieder heiraten, meine Tochter!«
»Ich?« rief Helene verzweifelt. »Aber ich habe Ihnen doch eben
gebeichtet! Sie müssen doch wissen, daß ich nicht kann!«
»Sie müssen heiraten,« wiederholte der Priester mit Nachdruck.
»Sie werden einen ehrenhaften Mann heiraten.«
Er schien in seiner alten Soutane zu wachsen. Er hob den
mächtigen Kopf mit den halbgeschlossenen Augen, dann wurden seine
Blicke so groß und hell, daß man sie durchs Dunkel leuchten
sah.
»Sie werden einen ehrenhaften Mann heiraten! Der wird Ihrer
Jeanne ein guter Vater sein und Ihnen Ihre Ehrbarkeit
zurückgeben!«
»Aber ich liebe ihn nicht… ach Gott! ich liebe ihn doch nicht…
«
»Sie werden ihn lieben, meine Tochter. Er liebt Sie und ist ein
gütiger Mensch… «
Helene wehrte sich und hatte die Stimme gesenkt, so daß man das
leise Hantieren Rambauds im Zimmer hören konnte. Er war so geduldig
und stark in seiner Hoffnung, daß er sie seit einem halben Jahre
nicht ein einziges Mal mit seiner Liebe behelligt hatte. So wartete
er vertrauensvoll in entsagender Ruhe.
Der Priester machte eine Bewegung zum Zimmer hin.
»Wollen Sie, daß ich ihm alles sage? Mein Bruder wird Ihnen die
Hand reichen, er wird Sie retten. Und Sie werden ihn mit
unermeßlicher Freude überschütten.«
Helene hielt ihn zurück, ihr Herz lehnte sich auf. Diese so
friedsamen und zartfühlenden Männer mit ihrer eiskalten Vernunft
erschreckten sie.
Der Priester machte eine weite umfassende Gebärde.
»Meine Tochter, sehen Sie diese herrliche Nacht, diesen
erhabenen Frieden? Warum weigern Sie sich, glücklich zu sein?«
Helene war der Gebärde des Priesters gefolgt, und wieder ruhte
ihr Blick auf dem Lichtermeer Paris'. Auch dort kannte sie den
Namen der Sterne nicht. Gern hätte sie
gefragt, was das für ein lebhaftes Blinken wäre, das sie dort unten
zur Linken Abend für Abend sah. Da waren noch mehr Lichter, die sie
interessierten, die einen liebte sie, andere wieder ließen sie
gleichgültig oder bereiteten ihr Unruhe.
»Mein Vater,« sagte sie und brauchte zum ersten Male diese
Anrede der Liebe und Achtung. »Mein Vater, lassen Sie mich
weiterleben, – die Schönheit der Nacht ist's, die mich erregt. Sie
haben sich getäuscht. Sie würden mir zu dieser Stunde keinen Trost
geben können, denn… Sie werden mich nie verstehen.«
Der Priester öffnete die Arme, dann ließ er sie ergeben wieder
sinken. Endlich sagte er leise:
»Gewiß, es mußte so kommen… Sie rufen um Hilfe und nehmen doch
das Heil nicht an. Wieviel verzweifelte Bekenntnisse habe ich
gesammelt, und wie viele Tränen habe ich nicht hindern
können! … Hören Sie, meine Tochter, versprechen Sie mir dies
eine: Wenn das Leben für Sie jemals zu schwer wird, denken Sie
daran, – ein ehrenhafter Mann wartet auf Sie … Sie brauchen
Ihre Hand nur in die seine zu legen und werden Ihre Ruhe
wiederfinden.«
»Das will ich Ihnen gern versprechen,« antwortete Helene fest.
Und als sie diesen Schwur tat, hörte man ein schwaches Lachen
durchs Zimmer. Jeanne war soeben aufgewacht und freute sich über
ihre Puppe, die auf dem Tische lief. Herr Rambaud, stolz auf sein
Werk, schützte sie mit den hohlen Händen vor einem Unfall.
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