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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Die Sonne ging über Paris auf und unter,
ohne daß Helene ein klares Bewußtsein für den unerbittlichen Ablauf
der Zeit hatte. Sie wußte jetzt, daß ihr Kind verloren war. Nun war
es nur noch ein Warten ohne Hoffen und die Gewißheit, daß der Tod
keine Gnade kennen würde.
    Leise ging sie im Krankenzimmer auf und ab und pflegte die
Kleine mit langsamen und doch fahrigen Bewegungen.
    Oft, wenn sie vor Müdigkeit auf einen Stuhl gesunken war, sah
sie das Kind stundenlang an. Jeanne magerte immer mehr ab,
tagtäglich nahm ihre Schwäche zu. Schmerzhaftes Erbrechen marterte
sie, und das Fieber wollte nicht mehr weichen. Wenn der Doktor kam,
untersuchte er kurz und ordnete irgend etwas an, doch sein
gebeugter Rücken zeugte von so viel Hoffnungslosigkeit, daß die
Mutter nicht einmal wagte, ihn beim Abschied zur Tür zu
begleiten.
    Am Morgen nach der plötzlichen Erkrankung war der Priester
herbeigeeilt. Er und sein Bruder kamen nun alle Abende und wechselten mit Helene einen
stillschweigenden Händedruck. Zu fragen wagten sie nicht.
    Die Brüder hatten sich erboten, abwechselnd die Nachtwache zu
übernehmen, doch Helene pflegte sie um zehn Uhr zu verabschieden.
Sie wollte zur Nachtzeit niemanden im Schlafzimmer dulden.
    Eines Abends nahm der Priester, den etwas sehr zu beschäftigen
schien, Helene beiseite.
    »Ich habe mir etwas ausgedacht,« flüsterte er. »Unsere teure
Kranke sollte hier ihre erste Kommunion empfangen… «
    Helene schien nicht zu verstehen. Daß sich ihr der Priester
trotz aller Toleranz als bloßer Vertreter himmlischer Interessen
zeigte, überraschte, ja verletzte sie. So tat sie sorglos:
    »Nein, nein. Ich will nicht, daß sie sich quälen soll …
Lassen Sie doch! Wenn es ein Paradies gibt, wird die Ärmste den Weg
dorthin auch so finden … «
    An diesem Abend empfand Jeanne eine jener Täuschungen, die den
Sterbenden ihren Zustand besser erscheinen lassen, als er ist. Sie
hatte den Priester mit dem geschärften Ohr der Kranken sprechen
hören.
    »Du bist's, lieber Freund? Du sprichst von der Kommunion? Das
wird doch nicht mehr lange dauern, nicht wahr?«
    »Gewiß nicht, mein Liebling.« Da verlangte Jeanne, daß der
Freund sich zum Plaudern zu ihr setzte. Die Mutter hatte sie mit
dem Kopfkissen gestützt. Wie klein und schwächlich war sie. Wie
lächelten noch die trockenen Lippen, während der Tod schon in ihre
hellen Augen trat.
    »Oh! Ich fühle mich sehr wohl… Ich würde aufstehn können, wenn
ich wollte… nicht wahr? Ich werde ein weißes Kleid anhaben… mit einem Sträußchen… Und wird
die Kirche auch so schön geschmückt sein wie im Marienmonat?«
    »Noch viel, viel schöner, mein Liebling!«
    »Wirklich? Und soviel Blumen werden da sein… Und schön wird man
singen … Bald, recht bald! Du versprichst es mir?«
    Die Sterbende schwamm in Seligkeit. Sie hörte die Orgel, sah die
wandernden Lichter, während die Blumen gleich Schmetterlingen sich
in den großen Vasen bewegten. Ein heftiger Husten warf sie aufs
Bett zurück. Sie lächelte noch immer und schien den Husten gar
nicht zu fühlen.
    »Morgen will ich aufstehen und meinen Katechismus ohne Fehler
lernen … Dann werden wir alle recht glücklich sein.«
    Helene stand am Fußende des Bettes und schluchzte. Sie, die
nicht weinen konnte, fühlte den Strom der Tränen aufsteigen, wenn
sie Jeannes seliges Lachen hörte. Es hielt sie nicht mehr im
Krankenzimmer, sie lief hinaus, um ihren Jammer zu verbergen. Der
Priester war ihr gefolgt. Sogleich hatte sich Herr Rambaud erhoben,
um das Kind zu beschäftigen.
    »Hast du gehört? Mama hat eben geschrien. Hat sie sich wohl weh
getan?«
    »Deine Mama – aber sie hat ja gar nicht geschrien, sie hat sich
nur gefreut, weil du so munter bist… «
    Im Eßzimmer hatte Helene den Kopf auf den Tisch gestützt und
erstickte ihr Weinen in den gefalteten Händen. Der Priester bat
sie, sich zu fassen. Ihr tränenüberströmtes Gesicht hebend, klagte
sie sich an, sie hätte ihr eigenes Kind getötet, und eine Beichte
kam in abgerissenen Worten von ihren
Lippen. Niemals wäre sie diesem Manne zu Willen gewesen, wenn
Jeanne an ihrer Seite geweilt hätte. Warum hatte sie ihn in jenem
unbekannten Zimmer treffen müssen? Der Himmel solle sie mitsamt
ihrem Kind zu sich nehmen … sie könne nicht mehr leben. Der
Priester beruhigte sie und versprach ihr Absolution.
    Es klingelte, und Stimmen wurden im Vorzimmer laut. Helene
trocknete die Augen, als Rosalie meldete:
    »Madame, Herr Doktor

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