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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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Grabstätten und Ruinen. Er hatte auch Angst, er könnte, Gott bewahre, diese Welt verlassen und in der Verbannung sein Grab finden, in einem Land, das Gojim gehörte. Die Rebbezin konnte sich unter gar keinen Umständen entschließen, ihre Familie zu verlassen, so daß sich nach und nach herausstellte, daß eine Scheidung der einzige Ausweg war.
      Der Rabbi war offensichtlich ein ganzes Stück älter als die Rebbezin. Sein Bart war milchweiß. Er kleidete sich nicht wie ein Rabbiner, sondern wie ein chassidischer Rebbe: in einen weiten Seidenmantel, Schuhe mit weißen Strümpfen und Zobelhut. Eine Weile schon verströmte er die Heiligkeit der fernen Stätten, die er aufsuchen wollte. Vater sagte, der Rabbi studiere die Kabbala und halte selbstauferlegte Fastentage ein. Wenn er in unserer Wohnung das Nachmittagsgebet abhielt, dauerte es eine geschlagene Stunde, bis er fertig war. Er murmelte, seufzte, erhob die Hände. Er schlug sich gegen die Brust, wie die Männer am Jom Kippur beim Sündenbekenntnis. Er bückte und verneigte sich, wie es die Juden einst im heiligen Tempel getan hatten. Zum Abendbrot aß er ein Stück vertrocknete Challe und ein Glas Dickmilch.
      Die Rebbezin hatte rote Wangen, lebhafte Augen und einen naschhaften Mund. Sie war mit einem Schnupftuch voller Küchel und Zuckerzeug gekommen, von dem sie immerzu knabberte. Sie saß in unserer Küche und sagte: »Das ist nichts für mich, Rebbezin. Ich bin an diesen Ort gewöhnt. Hier habe ich meine Wohnung, mein Bettzeug, meine Kinder und Enkel, mögen sie hundertzwanzig Jahre leben. Wie könnte man all das zurücklassen? Gewiß, das Land Israel ist ein heiliges Land. Wenn der Messias kommt, werden wir alle dort sein, so Gott will …« Die Rebbezin zog ein Taschentuch heraus und schneuzte sich geräuschvoll.
      »Das alles ist sehr seltsam«, sagte Mutter halb zu sich, halb zur Rebbezin.
      »Rebbezin, er ist ein Weiser!« sagte die Frau. »Er ist mehr im Himmel als auf Erden. Er wäre auch ohne Scheidung gegangen, aber mir war klar, daß er leiden würde. Wer würde dort für ihn sorgen? Er ist der Vater meiner Kinder, möge er hundertzwanzig Jahre leben.«
      Mutter saß stumm da. Ich sah ihrem Gesicht an, daß sie einen Zorn auf die Rebbezin hatte. Meine Mutter war der Ansicht, daß eine Ehefrau ihren Mann begleiten mußte, wo immer er hinging. Erst recht, wenn man einen Mann wie diesen hatte. Er war ein Heiliger! Aber was war da zu machen? Die Rebbezin hatte ihre eigenen Gründe. So wie ein Teil ihres Mannes im Himmel war, so stand sie, die Rebbezin, mit ihren beiden leichtbeschuhten Füßen fest auf dem Boden. Sie liebte ihre Kinder leidenschaftlich. Von Zeit zu Zeit streckte sie ihre Zungenspitze heraus und fuhr sich damit über die Lippen. Nach einer Weile schaute sie sich um, um zu sehen, wie meine Mutter wirtschaftete, und ich konnte an ihrer Miene ablesen, daß sie an der Haushaltsführung meiner Mutter einiges auszusetzen hatte.
      Während der Schreiber den Scheidebrief aufsetzte, und sogar noch davor, während die Zeugen unterwiesen wurden, wie sie ihre Unterschriften darunterzusetzen hatten, redete die Rebbezin von Fisch, Fleisch, Piroggen, Bohnen und Blinsen. Sie gab meiner Mutter alle möglichen Ratschläge, was Kochen und Backen betraf. Je länger die Rebbezin redete, desto klarer wurde, wie sehr sie an den irdischen Dingen hing, wie innig sie den Freuden dieser Welt zugetan war.
      Mutter nickte, aber ich sah, daß dies Gerede sie ungeduldig machte. Schließlich platzte sie heraus: »Wozu soll es gut sein, das Essen so wichtig zu nehmen?«
      Die Rebbezin sah sie schief an. »Wenn man schon ißt, warum soll es dann nicht auch gut schmecken?« fragte sie.
      »Es schmeckt gut.«
      »Wenn eine Speise nicht genauso zubereitet ist, wie es sein muß, habe ich das Gefühl, daß ich sie nicht zu mir nehmen kann«, erklärte die Rebbezin. »Meine Mutter – möge ihr ein strahlendes Paradies beschert sein – sagte immer: ›Was man in den Topf tut, holt man wieder heraus. Der Topf läßt sich nicht zum Narren halten.‹«
      »Es ist besser, den Topf zum Narren zu halten als sich selbst«, antwortete meine Mutter scharf.
      Im anderen Zimmer saß der Rabbi. Er wiegte sich vor und zurück, die Hände an die hohe Stirn gepreßt, und blieb so eine Weile in Gedanken versunken. Der Mann war schon nicht mehr hier, sondern irgendwo in Jerusalem, in Safed, an der zerfallenen Synagoge von Rabbi Jehuda dem Frommen, am Grabe

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