Ein Braeutigam und zwei Braeute
von Rabbi Simon ben Jochai.
Als es soweit war, legte der Rabbi der Rebbezin den Scheidebrief in die Hand, und sie weinte. Dann sagte sie: »Ich habe es für dich getan, damit du in das Land Israel gehen kannst.«
Mein Vater warf einen Blick in den heiligen Text, den er vorlas, und sagte, zur Rebbezin gewandt: »Wenn Sie erneut heiraten wollen, müssen Sie drei Monate und einen Tag warten.«
Die Rebbezin brach wieder in Tränen aus. »Möge das meinen Feinden widerfahren!«
»So ist es Gesetz.«
»Ich habe einen einzigen Ehemann gehabt und einen einzigen Gott …«
Die Rebbezin ging. Schon am Vortag hatte sie im Hause ihrer Tochter genächtigt. Der Rabbi verabschiedete sich von Vater. Die Stimmung bei uns war gedrückt. Vater ging in seinem Zimmer auf und ab. »Nichts Geringes – das Land Israel! Es steht geschrieben, wer nicht im Lande Israel lebt, ist so, als habe er, Gott bewahre, keinen Schöpfer gehabt.«
»Möchtest du vielleicht auch gehen?« fragte Mutter.
»Wenn ich nur könnte …«
»Warum kannst du nicht? Es leben so viele Juden dort von Almosen – dann gibt es eben einen mehr.«
»Ja, ja …«
»Wenn du die Scheidung willst, kannst du sie haben«, sagte Mutter mißgelaunt.
»Gott bewahre!«
Hochzeiten brachten festliche Stimmung in unsere Wohnung. Scheidungen hinterließen eine Leere. Mutter ging wieder in die Küche und redete mit mir wie mit einem Erwachsenen. »Was hat sie hier zu tun? Ihre Kinder sind schon erwachsen. Sie können ohne ihre Mutter auskommen. Enkel können ganz sicher ohne Großmutter überleben. Aber sie hat Angst, daß sie nicht genug Fleisch kriegt. Es sind die Fleischtöpfe Ägyptens.«
Viele Wochen vergingen. Eines Tages traf für Vater ein Brief aus dem Land Israel ein, mit einer türkischen Briefmarke. Vater öffnete vorsichtig den Umschlag und entnahm ihm ein winziges Blatt Papier. Es war ein Brief des Rabbis aus Jerusalem, in dem er beschrieb, wo er gewesen war und was er gesehen hatte. Er hatte auch eine eigene neue Deutung einer Talmudpassage beigelegt. Vater trug dieses Blatt mit sich herum; er las es wieder und wieder. Er sagte zu mir: »Dieses Stückchen Papier ist im Land Israel gewesen.«
»Sehr dünnes Papier«, bemerkte ich.
»Im Lande Israel werden sogar Dinge heilig«, erklärte Vater. »Sie nehmen die Heiligkeit des Landes in sich auf.«
»Und was ist mit Matsch?«
»Dummerchen. Was ist Matsch? Erde und Wasser.«
»Und was ist mit Abfall?«
»Was ist Abfall? Der Allmächtige hat alles geschaffen.«
Eines Tages kam Vater ganz aufgeregt aus dem Bethaus zurück. »Weh und Ach!«
»Was ist los?« fragte Mutter. »Gibt es ein neues Wunder vom Radzyminer Rebbe?«
Vater erläuterte, daß die Frau des Rabbis geheiratet hatte. Sie hatte einen wohlhabenden alten Mann gefunden.
»Das kann doch nicht sein!«
»Mordechaj der Gabbai hat es mir selbst erzählt.«
Mutters dünne Lippen zuckten. Ich wußte, daß sie gleich eine bissige Bemerkung machen würde, doch statt dessen legte sie die Hand vor den Mund. »Ich bin lieber still«, meinte sie und verkniff sich jede Gehässigkeit.
Bei einer Beschneidungsfeier, bei der mein Vater die Ehre hatte, das Baby während der Zeremonie zu halten, traf meine Mutter die frühere Rebbezin wieder. Jetzt war sie keine Rebbezin mehr, sondern eine Geschäftsfrau. Sie trug üppigen Schmuck, den ihr neuer Gatte ihr geschenkt hatte, lauter Stücke, die seine verstorbene Frau ihm hinterlassen hatte. Die ehemalige Rebbezin wollte meine Mutter umarmen, aber diese wich vor ihr zurück. Die Frau prahlte mit ihrer schönen Wohnung voller Teppiche, Silber und Pelzmäntel, die ihr Mann für sie hatte machen lassen. Vor Mutter rechtfertigte sie sich: »Es ist so hart, allein zu sein, Rebbezin. Kinder – schön und gut, aber man muß ein Heim haben. Keins zu haben ist wie auf hoher See verloren zu sein.«
»Hören Sie etwas von ihm?« fragte Mutter.
»Er schreibt sehr wenig.«
»Hat er geheiratet?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Wer weiß. Er ist kein Mensch, sondern ein Engel.« Die Frau biß in ein Stück Honigkuchen und nahm einen Schluck Likör.
»Mögen wir uns weiterhin bei fröhlichen Anlässen begegnen!« war ihr Wunsch für Mutter und sich selbst.
Wieder verging einige Zeit. Wieder kam Vater verstört aus dem chassidischen Bethaus zurück.
»Was ist diesmal passiert?« fragte
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