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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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lasse ich mich von dir scheiden. Lieber sterbe ich tausend Tode.«
      »Hör auf, du bringst mich vor all diesen Leuten in Verlegenheit.«
      »Wieso Verlegenheit? Wir sind füreinander keine Fremden.«
      Die Frau weinte während der Trauung. Sie bedeckte ihr Gesicht mit einem Taschentuch. Vater sagte die Segenssprüche und reichte Braut und Bräutigam einen Schluck Wein aus dem Kelch. Hinterher nahm der junge Mann seine frühere Ehefrau in den Arm und begann, sie zu küssen. Er versuchte sogar, mit ihr zu tanzen. Sie entwand sich ihm, aber er sagte: »Jetzt dürfen wir das.«
      Er gab den Männern des Minjan große Scheiben Honigkuchen und schenkte ihnen Branntwein in vollen Gläsern aus. Auch er trank. Er wurde immer erregter. Die Frau ging in die Küche, um mit Mutter zu reden. Mutter fing an, ihr etwas zuzuflüstern, sie murmelte etwas von Tage zählen, Bettzeug, rituellem Bad.
      Der junge Mann kam herein und sagte: »Nun, mein Eheweib, laß uns gehen.«
      »Jetzt verrat mir doch: Wohin bringst du mich?«
      »Ins Hotel Krakowski.«
      »Ich gehe in kein Hotel.«
      »Wo sollen wir schlafen – auf der Straße?«
      »Laß uns heimfahren.«
      »Heute fährt kein Zug mehr.«
      Mutter fragte: »Gibt es am Eingang eine Mesuse?«
      »Für mich ist es heute wie Sederabend. An Pessach haben die Dämonen keine Macht«, erklärte der junge Mann. »Heute brauchen wir keine Mesuse.« Der junge Mann wies auf seine Frau. »Sie ist meine kleine Mesuse.«
    »Oh, er ist verrückt!«
      »Rebbezin, Sie wissen nicht, was ich in den letzten paar Jahren durchgemacht habe. Wir hatten einen Pächter, der besaß einen Stall voller Kühe. Ein Jude kam und kaufte ihm eine unfruchtbare Kuh ab. Die Kuh brüllte auf dem ganzen Heimweg. Sie brüllte den ganzen Tag, die ganze Nacht. Das ging so fort, zwei Tage, drei Tage, eine Woche. Rebbezin, die Kuh brüllte, bis sie starb. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter oder den anderen Kühen. Dasselbe ist mir passiert. Den einen Tag habe ich mich von ihr scheiden lassen, und am nächsten habe ich angefangen zu weinen. Das Weinen war in mir drinnen, hier, in meinem Herzen. Ich dachte immer, ich könnte die Sehnsucht ersticken, sie zum Schweigen bringen, aber es wurde immer schlimmer. Wäre ich nicht zurückgekommen und hätten wir nicht wieder geheiratet, wäre ich verendet wie diese Kuh.«
      »Und ich – habe ich nicht auch viel gelitten?«
      Der Mann nahm seine Frau und ging mit ihr die Treppe hinunter. Draußen wartete er auf eine Droschke. Er schwenkte seinen Schirm nach rechts und links. Schließlich hielt eine leere Droschke an. Der junge Mann half seiner Frau hinein und stieg dann selber ein. Er warf einen letzten Blick in Richtung unseres Balkons – den Blick eines Mannes, der halb verrückt war vor Liebe und Ungeduld.

Bestimmt wird sie sich schämen

    Bei uns zu Hause wurden Scheidungen aller Art vollzogen, aber diese war anders. Mann und Frau liebten einander; sie lebten seit über vierzig Jahren zusammen. Der Mann war selber Rabbi. Sie war Rebbezin. Sie hatten verheiratete Kinder und Enkel. Das Paar strahlte Toragelehrsamkeit und edle Herkunft aus.
      Warum also wollten sie sich auf ihre alten Tage scheiden lassen?
      Weil der Mann, der Rabbi, in das Land Israel gehen wollte, seine Frau, die Rebbezin, aber ihre Kinder und Enkel nicht verlassen mochte.
      Der Rabbi hätte auch ohne Scheidung fortgehen können, aber die Sache ist doch die, daß ein Gelehrter nicht einmal im Lande Israel allein leben kann. Ein Jude muß eine Ehefrau haben. Er braucht jemanden, der ihm eine warme Mahlzeit kocht, ihm das Bett macht, seine Kleider zum Waschen gibt und seine Strümpfe stopft. Aber wie nützlich auch immer eine Ehefrau sein mag: die Wahrheit ist, daß man nicht ohne Ehefrau sein darf, weil das zu unreinen Gedanken führen kann und an Torastudium und Gebet hindert. Ein Jude, der ein reines und heiliges Leben füh ren will, muß etwas im Magen haben. Mit anderen Worten, er braucht ein Heim und eine Frau.
      Die Vorbereitungen für die Reise ins Land Israel dauerten Jahre. Ein Paar beschließt nicht von heute auf morgen, sich scheiden zu lassen. Aber der Rabbi fühlte sich vom Land Israel magnetisch angezogen. Endlose Nächte lang konnte er nicht schlafen, weil er sich danach sehnte, an der Klagemauer zu sein; bei der Höhle von Machpela, wo die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob begraben sind; am Grabe Rahels in Bethlehem und an anderen heiligen

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