Ein Braeutigam und zwei Braeute
aus, um die frühere Ver lobte des Mannes vor seinen Richterstuhl zu holen.
Da sie in der Chłodnastraße wohnte, gab ihr früherer Verlobter mir Geld für die Hin- und Rückfahrt mit der Droschke. Es war mir gar nicht geheuer, ohne Gepäck in einer Droschke zu sitzen. Den Jungen auf der Straße blieb vor Staunen der Mund offen. Die Krämer, Männer wie Frauen, lachten und drohten mir mit dem Zeigefinger. Ich lehnte den Kopf gegen eine Seitenwand der Droschke und fühlte die Sprungfedern unter mir schaukeln. Ich war so leicht, daß ich fürchtete, ich könnte hinausfallen. Trotzdem fühlte ich mich wohl, wie ich so in der Droschke fuhr. Ich schloß die Augen und dachte über die Sonderbarkeit der menschlichen Beziehungen nach. Weil ein junger Mann in Łodz oder Kalisz nachts nicht schlafen konnte und an seine frühere Verlobte dachte, darum mußte ich, ein kleiner Junge aus der Krochmalna, an einem Mittwochmittag mit der Droschke fahren.
Ich ging durch das elegante Tor zum Haus der Frau, stieg eine Marmortreppe zu ihrer Wohnung hinauf und läutete. Ein Dienstmädchen in weißer Schürze öffnete die Tür und fragte, was ich wünschte.
»Die Hausherrin wird vor das Gericht des Rabbis geladen.«
Kurz darauf erschien die Frau. Sie war Ende Dreißig, immer noch hübsch, hatte aber schon einen schweren, vollen Busen und vereinzelte graue Strähnen. Sie wirkte in ihrer Fraulichkeit ebenso beeindruckend wie ihr früherer Verlobter in seiner Männlichkeit. Sie fragte mich, warum ich gekommen sei.
»Ihr früherer Verlobter ruft Sie vor den Rabbi – meinen Vater«, sagte ich.
Die großen dunklen Augen der Frau weiteten sich. »Was für ein Verlobter? Und was für ein Rabbi?«
Während ich der Frau alles erzählte, was ich gehört hatte, fiel mir auf, wie ihr Gesicht die Farbe wechselte – mal wurde es blaß, dann wieder rot. In einem Augenblick war sie kurz davor, in Lachen auszubrechen, im nächsten wurde sie traurig. Irgendwann spürte ich, daß sie mich anschreien und mir die Tür weisen wollte. Dann schien sie sich zu besänftigen.
»Verstehst du diese Dinge schon?« fragte sie.
»Ich verstehe alles«, behauptete ich in jungenhafter Überheblichkeit.
»Warte. Ich rufe eben meinen Mann an.«
Nachdem ich lange im Korridor gewartet hatte, kam die junge Frau in Hut und Mantel heraus.
»Gehen wir.«
Ich sagte ihr, ich hätte Geld für eine Droschke, aber sie sagte, sie werde die Droschke selber bezahlen. Bald saß ich neben ihr – eine Dame aus der Chłodnastraße auf dem Weg zu ihrem früheren Verlobten und in ihrer Begleitung ein Junge mit roten Schläfenlocken, der sonderbare Geheimnisse kannte, in die Geschichten von Fremden verwickelt war und die wildesten Gedanken hatte. Die Frau selbst interessierte mich nicht so sehr, aber ich schaute unverwandt auf das Pferd. Ich saß seitlich und konnte das breite Hinterteil und den langen Schweif des Pferdes beobachten. Das Hinterteil schaukelte, schien stumm mit mir zu reden und zu verkünden: Mir ist es gleich, wen ich fahre und wohin. Ich weiß von nichts. Ich bin und bleibe ein Pferdehintern. Wenn ich Hafer fresse, gibt mir das Kraft, diese Droschke zu ziehen. Von mir aus können ein Priester, Rabbi oder Türke darin sitzen. Von Zeit zu Zeit schlug der Pferdeschwanz, ein Zeichen, daß das Hinterteil zufrieden war.
Als ich mit der Frau die Treppe zu unserer Wohnung hinaufstieg, bemerkte ich, daß ihr Kleid eng und lang war. Sie mußte kleine Schritte machen und war außerstande, zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Ihre Schuhabsätze waren hoch und blank. Drogeriedüfte hafteten ihr an. Sie faßte mich am Ärmel, wie um sich schutzsuchend auf mich zu stützen. Ihre behandschuhte Hand war leicht und fest zugleich. Eine seltsame, verbotene Wärme durchrieselte mich, die mich ganz benommen machte.
Das Wiedersehen des einst verlobten Paars war wie aus dem Märchen. Es erinnerte mich auch an die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. Der Mann erkannte die Frau zunächst nicht wieder. Sie sahen einander verwundert an, Vergessen und Erinnerung wechselten sich ab. Schließlich verkündete die Frau: »Ja, du bist es.«
»Ich habe dich gleich erkannt«, sagte der Mann und meinte es als Kompliment.
»Wie lange ist es her? Nein, sag's lieber nicht«, sagte die Frau.
»Wie die Jahre verfliegen!«
»Seit wann trägst du eine Brille?«
»Seit etwa drei Jahren. Vielleicht auch seit
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