Ein Braeutigam und zwei Braeute
sie etwas verschluckt. »Rabbi, ich will die Scheidung.«
»Sagen Sie mir, warum.«
»Rabbi, das, was wir führen, kann man nicht Leben nennen. In besseren Kreisen ist der Mann aufmerksam gegenüber seiner Frau. Er aber bezeigt mir keinerlei Aufmerksamkeit.«
»Was meinen Sie mit ›Aufmerksamkeit‹?«
»Der bloße Lebensunterhalt kann einer Frau nicht genügen. Eine Frau möchte sich auch ab und zu amüsieren, ein bißchen Freude am Leben haben. In besseren Kreisen gehen Ehepaare aus – ins Theater, ins Kino, zum Tanzen. Sie kommen und gehen, sie laden Leute zu sich ein. Sie gehen zu anderen zu Besuch. Eine Frau möchte gesehen werden. Aber mit ihm sitze ich wie ein Vogel im Käfig. Den ganzen Tag ist er im Laden. Und kaum kommt er nach Hause, setzt er sich an seine Kontobücher. Unser Laden ist am Sabbat und sonntags geschlossen, aber wir gehen an keinem der Tage irgendwohin. Und so vergehen die Jahre, und das Leben wird öde. Manchmal schnürt es mir so die Luft ab, daß ich meinem elenden Leben nur noch ein Ende setzen möchte …«
Jetzt konnte die Frau ihre Qual nicht länger unterdrücken. Sie stieß einen heiseren Schrei aus, wie irgendeine der einfachen Frauen in unserer Straße. Während die Frau redete, stand ihr Mann da und starrte sie betäubt und verwirrt an. Er sah aus, als traue er seinen Ohren nicht. Hin und wieder warf er einen raschen Blick in Richtung Tür, als sei er drauf und dran, ohne Erwiderung zu fliehen.
»Haben Sie Kinder?« fragte Vater.
»Nein, nicht eines«, antwortete die Frau. »Aber davon will ich gar nicht erst anfangen. Das ist Gottes Wille, auch wenn alle meine Schwestern Kinder haben und ich die einzige bin, die auf diese Weise gestraft ist. Der Arzt hat mir gesagt, es liege an ihm. Ich kann Kinder bekommen.«
Und wieder brach die Frau in Tränen aus.
Vater rieb sich die Stirn. »Also, was wollen Sie dann?«
»Rabbi, dies ist kein Leben. Ich wandere in meiner Wohnung auf und ab wie in einer Gefängniszelle. Es gibt eine Geschichte von einem Vogel, den man in einen goldenen Käfig gesteckt hat – das bin ich. Ein Tag ist wie der andere. Heiliger Rabbi, ich nenne Ihnen ein Beispiel: In besseren Kreisen schenken die Männer ihren Frauen ab und zu etwas. Sie mögen das für töricht halten – schließlich kann ich mir ja alles kaufen, was ich mir wünsche. Aber es ist schön, wenn ein Mann einem etwas mitbringt. Es ist nicht so sehr das Geschenk, sondern die Tatsache, daß der Mann an einen denkt. Meine Schwäger bringen meinen Schwägerinnen immer Geschenke mit. Wir haben Telephon, und sie rufen mich an und sagen: ›Rate mal, was ich heute bekommen habe.‹ Sie bekommen dies und das und jenes. Selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist, für eine Frau ist es wichtig. Aber bei uns gehen die Jahre vorbei, und ich bekomme nicht einmal für einen Pfennig Geschenke. Ich schäme mich, es zu sagen, aber seit wir geheiratet haben, habe ich nie etwas von ihm bekommen – darum, eher als so weiterleben … möchte ich lieber …«
Jetzt fing die Frau noch bitterlicher zu weinen an. Sie zerrte ein Taschentuch hervor und schneuzte sich. Beim Weinen verkrampfte sich ihr Körper und zuckte. Mir kam vor, als müsse diese Anspannung ihre Kleidung an den Nähten platzen lassen, ihr Korsett müsse aufspringen und sie werde splitternackt dastehen. Mir kam zu Bewußtsein, daß auch mein Vater nie Geschenke mitbrachte. Ich wußte nicht einmal, daß von einem Ehemann erwartet wurde, seiner Frau etwas zu schenken. Geschenke machte man einer Braut oder einem Bräutigam, nicht seiner Frau.
Ich schaute auf den Mann; er stand da mit offenem Mund. Sein Gesicht drückte Schmerz, Erstaunen und noch etwas aus, das sich nicht benennen ließ. Trotz seiner Bekümmernis war in ihm immer noch eine Spur von Lachen, die ich nicht verstand. Vater verdeckte seine Augen mit der Hand. Er schaukelte vor und zurück, als wäre er seiner nicht sicher. Offensichtlich begriff er nicht, was die Frau wollte und warum sie so bitterlich weinte.
»Und was sagen Sie?« fragte er schließlich.
»Meinen Sie mich, Rabbi?« fragte der Mann.
»Ja.«
»Rabbi, ich werde Ihnen etwas Interessantes erzählen.«
»Gut.«
»Rabbi, es stimmt, daß wir nicht ins Theater oder ins Kino gehen, aber nicht, weil ich geizig bin. Ich statte sie aus mit dem Besten und Feinsten von allem. Die Geldschublade ist nicht versperrt; sie steht ihr weit offen. Sie kann sich kaufen, was
Weitere Kostenlose Bücher