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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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einen Wurstwarenhändler kennengelernt, einen Witwer ihres Alters, und sie suchte Vaters Rat in einer religiösen Frage: Durfte sie ihr Versprechen brechen? Wenn ja, hätte sie gern, daß Vater in aller Stille die Trauung vornahm. Frejdele wollte die Sache nicht lange aufschieben. Sie ging ruhelos in Vaters Zimmer umher und warf dabei ab und zu einen Blick aus dem Fenster auf ihren Laden, der sich zufällig genau gegenüber von uns befand. Es war schwierig, sich vorzustellen, daß diese Geschäftsfrau jemanden liebte. Die ganze Verbindung war vermutlich ein wohlberechneter Schritt. Nach Frejdeles Worten konnten Eheleute nicht zwei Läden betreiben. Der Witwer hatte ein großes Geschäft. Frejdele war anscheinend bereit, sich eine weiße Schürze umzubinden und Wurst, Hühnerbrust, Leber und kalten Braten mit langem Messer aufzuschneiden.
      Vater konsultierte ein Buch nach dem anderen. Dann fragte er Frejdele, ob sie ihren Eid aus freien Stücken gegeben habe oder aus Angst, ihr kranker Mann könnte sich sonst aufregen und sein Zustand sich dadurch verschlimmern. So wie Vater die Frage formulierte, legte er ihr die Antwort praktisch in den Mund.
      »Was hätte ich tun sollen?« sagte Frejdele. »Er lag auf dem Sterbebett.«
      »Das heißt, Sie taten es ihm zuliebe.«
      »Natürlich!«
      Vater zögerte eine ganze Weile. In einer solchen Frage Verantwortung auf sich zu nehmen war nicht leicht. Nichtsdestoweniger entschied er, die Witwe dürfe heiraten. Ich dachte, Frejdele müßte außer sich sein vor Freude, aber sie gehörte nicht zu den Frauen, die ihre Gefühle zeigen. Sie ging sofort dazu über, praktische Dinge zu erörtern. Sie wollte wissen, was die Trauung kostete, und erklärte, sie solle ohne Gäste stattfinden. Vater meinte, ein Minjan müsse dabeisein. Man könne einfache Leute von der Straße holen oder sogar ein paar ältere Jungen. Sie wollte alles geheimhalten. Vielleicht deshalb, weil sie sich vor den Leuten schämte?
      Mutter erwartete, Frejdele würde ihr nun ihr Herz ausschütten, wie die anderen Frauen es taten und sogar manche Männer. Aber Frejdele sagte: »Es ist niemand im Laden, der aufpaßt. Ich muß sofort wieder hin.«
      Sobald sie fort war, nahm Vater seine Studien wieder auf. Mutter ging gedankenverloren umher.
      »Frejdele ist eine starke Persönlichkeit«, sagte sie.
      Und obwohl ich ein kleiner Junge war, verstand ich, was sie meinte. Es war ungewöhnlich, daß eine Frau ein so resolutes Wesen hatte.
      Wenige Tage vergingen. Bei uns war alles für die Hochzeit hergerichtet: die Flasche Wein, die Heiratsurkunde, die nur noch ausgefüllt werden mußte, und der Trauhimmel mit seinen vier Holzpfosten, der an seinem üblichen Platz beim Ofen stand. Was brauchte man noch? Keiner in der Straße wußte, was stattfinden sollte.
      Eines Morgens klopfte jemand in aller Frühe an unsere Tür. Es war Frejdele. Ich erkannte sie kaum wieder. Ihr sonst rotwangiges rundes Gesicht war jetzt schmal und blaß. Ihre Augen blickten verwirrt und verängstigt. Sie hatte sich einen Schal um den Kopf geschlungen wie eine arme Jüdin. Ich glaube, ihre Schnürsenkel waren offen. Selbst ihre Stimme war verändert.
      »Ist dein Vater schon auf?« fragte sie.
      »Ja.«
      »Darf ich hereinkommen?«
      »Natürlich.«
      Frejdele ging in das Gerichtszimmer. Ich wollte ihr folgen, aber sie sagte streng: »Ich muß etwas Privates mit deinem Vater besprechen.«
      Ich blieb in der Küche, verwandelte mich aber in ein einziges riesiges Ohr. In dem anderen Raum sprach Frejdele leise, und Vater antwortete ihr. Dann sagte Frejdele wieder etwas, und ich hörte leises Schluchzen. Schauer rieselten mir den Rücken hinunter. Nicht nur hatte ich Frejdele nie weinen hören, ich konnte mir nicht einmal vorstellen, daß sie Tränen vergoß. Selbst bei Jechiels Beerdigung hatte niemand Frejdele weinen hören. Mutter hatte im Schlafzimmer offenbar ebenfalls Frejdeles Schluchzen gehört. Sie zog sich Morgenrock und Hausschuhe an und kam ins Gerichtszimmer. Lange Zeit waren von dort nur Geflüster, Schluchzen, Bruchstücke eines Gesprächs und unterdrückte Seufzer zu vernehmen.
      Sosehr ich auch versuchte zu hören, was da vor sich ging, konnte ich mir nichts zusammenreimen. Mir kam der Gedanke, daß vielleicht Frejdeles Verlobter gestorben war. Aber warum hätte es deswegen so viel zu flüstern gegeben? Ich versuchte, die Tür aufzumachen, aber Mutter schrie sofort: »Tür

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