Ein Braeutigam und zwei Braeute
zu!«
Erst später erfuhr ich, was vorgefallen war. Bei Nacht, als Frejdele im Schlaf lag, war Jechiel in seinem Sterbehemd zu ihr gekommen. Er hatte sie wütend angeschrien und versucht, sie zu erwürgen. Frejdele hatte Mutter im Gerichtszimmer einen blauen Fleck an ihrem Hals gezeigt. Arme und Brust waren bei ihr übersät von schwarzblauen Blutergüssen, die man »Totenknüffe« nannte. Ganz offensichtlich war Jechiel dort im Jenseits dagegen, daß seine Frau heiratete. Er brüllte ihr in die Ohren, schlug und zwickte sie und warnte sie, sie werde unter einem schwarzen Trauhimmel heiraten und eines vorzeitigen Todes sterben.
Vater wollte nicht länger die Verantwortung übernehmen. Es wies Frejdele an, einen Rebbe aufzusuchen. Solche Dinge lagen nicht im Tätigkeitsbereich eines Rabbis, sondern waren bei einem chassidischen Rebbe besser aufgehoben.
Bis heute weiß ich nicht, ob Frejdele sich bei einem Rebbe Rat geholt hat oder was er ihr vielleicht gesagt hat. Jedenfalls wurde nichts aus der Heirat mit dem Wurstwarenhändler. Frejdele blieb Witwe, solange wir in der Straße wohnten. Zu Hause sagte man mir, ich dürfe, Gott behüte, kein Wort verlauten lassen, und ich lernte früh, Geheimnisse für mich zu behalten.
Einige Jahre lang war Frejdele noch ganz die alte. Ihre Wangen glühten. Ihr Lächeln war zugleich freundlich und gezwungen. Sie maß ab, wog ab, redete mit den Kunden, scheuchte die bei ihr angestellten Mädchen herum. Niemand hätte erraten, was sie Entsetzliches durchgemacht hatte. Doch dann alterte sie schlagartig. Gleichsam über Nacht wurde ihr Gesicht runzlig, und an den Augen bekam sie Krähenfüße. Ihr Lächeln war nicht mehr fraulich, sondern wie das einer Großmutter. Ihre Stimme wurde weicher. Sie fing an mit dem Kopf zu wackeln, als nicke sie allen zustimmend zu.
Die Geschichte von Frejdeles Traum hinterließ bei mir Furcht und Schrecken. Ich dachte oft an Jechiel und daran, wie er Frejdele in seinem Sterbehemd erschienen war, was mich zusätzlich ängstigte. Was würde ich tun, wenn er im Traum zu mir käme? Und was für einen Schaden hätte Jechiel in jener Welt davongetragen, wenn Frejdele den Wurstwarenhändler geheiratet hätte?
Die Leute in unserer Straße wußten nicht, was geschehen war, aber sie sprachen oft über sie. Was hatte sie davon, daß sie so gute Geschäfte machte und soviel Geld angehäuft hatte? Was nützte ihr das ganze Vermögen? Sie öffnete ihren Laden sehr früh und schloß ihn später als die anderen Händler. Am Sabbat aß Frejdele auf ihrem Balkon und sah unter sich die Welt vorüberziehen.
Als ich einmal von einem Besuch bei meinem Großvater nach Warschau zuückkehrte, sah ich Frejdele nicht mehr in ihrem Laden. Sie war wohl dort, wo Jechiel war. Aber war sie im Himmel sein Fußschemel geworden, wie die jüdische Folklore es behauptet? Es ist nicht gut, der Fußschemel einer so reizbaren Person zu sein. Andererseits aber, aus psychologischer Sicht, war Frejdeles Traum eine Spiegelung ihrer eigenen Wünsche. Unbewußt – das zumindest wäre die Freudsche Deutung – hatte sie ihren Mann wohl sehr geliebt.
Reb Sainwele
Auf der Ofenbank im Bethaus saßen mehrere Chassidim. Um sie herum standen ein paar junge Männer und Burschen, die Reb Sainwele zuhörten, dem Tumtum * . Reb Sainwele war hochgewachsen, breitschultrig, mit großem Gelehrtenkopf, hoher Stirn, tiefen Falten in den Augenwinkeln und Schläfenlocken bis auf die Schulter.
Doch leider hatte er keinen Bart. Sein Gesicht war so glatt wie das einer Frau, schlimmer noch – es hatte nicht einmal eine Spur von Haaren. Reb Sainweles bartloses Gesicht bezeugte, daß er seinen Spitznamen zu Recht trug. Seine Stimme war ein wenig tiefer als eine Frauenstimme, aber nicht so tief wie die eines Mannes. Er sagte: »Wer nicht in der zweiten Feiertagsnacht an Rebbe Alexanders Hof mit dabei war, der ahnt nicht, welche Freuden diese Welt zu bieten vermag. Von der künftigen Welt ganz zu schweigen! Oh, was wissen die heutigen Chassidim vom Chassidismus! Wer den Rebbe nicht gekannt hat, kann nicht ermessen, was ein Weiser ist! Seine Weisheit erleuchtete die Welt. Er konnte alles zugleich: den Talmud samt Kommentaren studieren, sich mit jungen Leuten unterhalten und hören, was ein Junge am anderen Ende des Lehrhauses sagte. Er tat witzige Aussprüche, die einen vor Lachen fast platzen ließen, aber wenn man sie sich später ins Gedächtnis rief, wurde einem klar, daß sie auch
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