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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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Kuchen und Küchel, daß ich mir die Taschen damit vollstopfte.
      Nach und nach leerte sich die Wohnung. Ich ging auf den Balkon und sah zu, wie Braut und Bräutigam in einer Prozession zu dem Hof zurückeskortiert wurden, von dem aus man sie zuvor zu uns geleitet hatte.
      Erst als alle fort waren, kam Mutter wieder nach Hause. Draußen war es nicht warm, aber sie riß alle Fenster auf, um die Räume zu lüften. Was an Essen und Getränken übrig war, warf sie in den Müll. Noch Tage danach lief sie erregt umher.
      »Ich möchte den Tag noch erleben, wo ich dieser Straße Lebwohl sagen kann«, meinte sie.
      Ich hörte die Leute noch sehr lange über dieses Paar reden. Man erzählte sich die erstaunlichsten Dinge. Eine frühere Prostituierte führte das Leben einer ehrbaren Ehefrau. Jeden Monat suchte sie die Mikwe auf. Sie kaufte gut koscheres Fleisch. Jeden Sabbat und jeden Feiertag ging sie in die Synagoge. Dann hörte ich, sie sei schwanger, und dann, sie habe ein Kind bekommen. Die Nachbarinnen sagten, sie sehe andere Männer nicht einmal an. Von Zeit zu Zeit sah ich ihren Ehemann. Der Glanz des Hochzeitstags war von ihm gewichen, und er lief wieder ohne Kragen, nur mit papierener Hemdbrust herum. Einmal hörte ich in einem Laden eine Frau fragen: »Aber wie kann ein Mann mit ihr leben, wenn er doch weiß, wo sie sich herumgetrieben hat?«
      »Reue hilft bei allem und jedem!« erwiderte eine Frau mit Haube.
      »Trotzdem, es ist widerwärtig …«
      »Vielleicht liebt er sie«, rief eine andere.
      »Aber es ist doch überhaupt nichts an ihr dran! Sie ist dünn wie ein Zwirnfaden.«
      »Alle Männer haben ihre Vorlieben.«
      »Möge Gott mich nicht für meine Worte strafen!« sagte die Krämerin. »Mund, sei still!« Und sie gab sich mit zwei Fingern einen Klaps auf die Lippen.
      Von der Zeit an schenkte ich den Mädchen, die an den Haustoren und Laternenpfählen standen, mehr Beachtung. Manche wirkten vulgär, plump und garstig; aus ihren dick geschminkten Augen grinste schamlose Verworfenheit. Andere schienen so still, traurig und eingefallen. Eine der Prostituierten sprach Jiddisch wie die Litwaken, was für uns etwas vollkommen Neues war. Sie kam in Esthers Süßwarenladen und sagte: »Was haben Sie Köstliches anzubieten? Wie wär's mit einem Stück Käsekuchen? Ich habe ein meterlanges Loch im Magen!«
      Im Hof hörte ich Dienstmädchen erzählen, die Zuhälter führen nachts in Kutschen herum, um unschuldige Dinger, Waisen und Mädchen vom Land aufzugreifen. Sie wurden zur Prostitution gezwungen und dann auf Schiffe verschleppt, die nach Buenos Aires fuhren. Dort ließen sie sich mit Negern ein. Dann befiel ein Wurm ihr Blut, und das Fleisch löste sich ihnen stückweise von den Knochen.
      Diese Geschichten waren süß und schauerlich zugleich. Es geschahen Dinge auf dieser Welt. Nicht nur oben im Himmel gab es Geheimnisse, sondern auch hier unten auf der Erde. Ich wünschte mir glühend, möglichst schnell erwachsen zu werden, um all diese himmlischen und irdischen Geheimnisse zu erfahren, zu denen kleine Jungen keinen Zugang hatten …

Reb Leiser Grawitzer

    Mit unseren Einkünften lief es mehr schlecht als recht; daher gab mein Vater von Zeit zu Zeit Jugendlichen Talmudstunden, um die Miete zahlen zu können. Ein solcher Schüler war Dowidl. Er hatte keinen Vater mehr, und seine Mutter war irgendwo in Kongreßpolen wiederverheiratet. Dowidl wuchs bei seinem Großvater auf, Reb Leiser Grawitzer, und er brachte ein weltliches Element in unseren Haushalt.
      Dowidl war achtzehn, ein gutaussehender Bursche mit schwarzen Locken und »deutschem« Haarschnitt. Er trug einen ziemlich kurzen Kaftan mit Rückenschlitz, der ihm nur bis zu den Knien reichte, sowie Kragen, Krawatte, Hemdbrust und blanke Sämischlederschuhe. Von seinem Kaftan abgesehen, der wie ein Gehrock aussah, kleidete Dowidl sich nach westlicher Mode. Seine Jarmulke war so klein, daß sie ihm wie ein winziger Topfdeckel auf dem Kopf saß. Er trug einen Kneifer, der an einem Goldkettchen hing, und natürlich hatte er eine Taschenuhr mit Kette in seiner Weste. Außerdem studierte er am Warschauer Konservatorium Musik. Wahrscheinlich trug er seinen geschlitzten Kaftan und die Jarmulke nur, wenn er zu uns kam, denn Vater hätte jemand modern Gekleidetem nie Talmudunterricht gegeben.
      Dieser Dowidl war vielseitig gebildet. Er sprach fließend Russisch, Polnisch, Deutsch und sogar Französisch, am besten

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