Ein Braeutigam und zwei Braeute
oder blauen Schuhen. Gelegentlich rauchte eine von ihnen eine Zigarette.
Wenn ich vorbeikam, riefen sie mir nach: »He, Rotznase! Mieser kleiner Chassid! Dummbeutel!«
Doch ab und zu schenkte mir eine ein Stückchen Schokolade, und dann rannte ich damit weg und warf es in die Gosse. Ich wußte, was immer sie berührten, war besudelt. Zuweilen kamen sie zu uns, weil sie eine Frage hatten, die nur ein Rabbi beantworten konnte. Mutter reagierte dann immer verlegen und brachte kein Wort heraus. Meinem Vater hingegen machte es nichts aus. Er wandte sowieso den Blick von allen Frauen ab. Ihre Fragen betrafen stets die Jahrzeit, den Todestag eines geliebten Menschen – die einzige Mizwe, die die Straßenmädchen einhielten. Sie konnten nie den genauen Tag des jüdischen Kalenders errechnen, an dem sie das Jahrzeitlicht anzünden mußten.
Einmal kam ein junger Mann, der wie ein Künstler aussah. Er trug eine Jarmulke, aber eine kurze Jacke und Knöpfschuhe. Sein Hemd hatte keinen Kragen, bloß eine papierene Hemdbrust mit vorstehendem blechernen Kragenknopf. Er war unrasiert und hohlwangig. Seine Adlernase war blaß wie bei einem Kranken. Seine großen schwarzen Augen strahlten eine Milde aus, die mich an Fasten und Beerdigungen denken ließ. So sahen Trauernde aus, die mit Fragen zum Schiwesitzen und zu den dreißig Trauertagen kamen.
Mutter war zufällig im Gerichtszimmer, und ich saß über einem Talmud und tat so, als studierte ich.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Vater.
Der junge Mann stammelte etwas und wurde rot und blaß.
»Rabbi, ist es zulässig, eine Prostituierte zu heiraten?«
Mutter war schockiert. Vater stellte dem jungen Mann eine Frage und sah mich streng an.
»Geh aus dem Zimmer!«
Ich verzog mich in die Küche, und der junge Mann blieb lange im Gerichtszimmer. Hinterher kam Mutter in die Küche und sagte: »Es gibt auf der Welt Verrückte aller Art!«
Vater entschied, daß er die Prostituierte heiraten konnte. Es war nicht nur zulässig, sondern sogar eine Mizwe, eine jüdische Tochter aus der Sünde zu erretten. Mehr brauchte der junge Mann nicht. Unverzüglich ersuchte er Vater, die Trauung vorzunehmen. Er ging in gehobener Stimmung und knallte fröhlich die Tür zu. Vater kam in die Küche.
»Was für eine Art von Wahnsinn ist das?« fragte Mutter.
»Er hat sich – wie heißt es bei denen? – verliebt.«
»In eine Prostituierte?«
»Na ja …«
Und Vater wandte sich wieder seinem heiligen Text zu.
Ich entsinne mich nicht, wieviel Zeit bis zur Hochzeit verging. Das Mädchen mußte die vorgeschriebene Anzahl von Tagen nach ihrer Menstruation abzählen und dann in die Mikwe gehen. Alle möglichen Helferinnen umschwirrten sie nun. Jeder in der Straße wußte, was vorging, und man redete darüber beim Krämer, beim Fleischer und sogar in der Synagoge. Normalerweise waren bei einer kleinen Hochzeit nur wenige Leute zugegen. Mein Vater mußte mich fast immer ins Bethaus schicken, um genügend Männer für einen Minjan zusammenzubringen. Diesmal jedoch verwandelte sich unsere Wohnung in einen Wiener Salon. Jeden Augenblick ging die Tür auf, und ein Dieb oder Zuhälter kam hereinspaziert. Die meisten Gäste aber waren Freudenmädchen, feingemacht in Samt und Seide und mit Straußenfederhüten. Auch die Puffmütter erschienen.
Daß ein ehrbarer junger Mann sich in eine Hure verliebt hatte, war ein Sieg für die Halb- und Unterwelt, vor allem für die Frauen. Sie sahen darin ein Zeichen, daß es auch für sie, die Ausgestoßenen, Hoffnung gab. Die Puffmütter takelten sich mit ihren Perücken und Schals auf, die sie an Rosch Haschana und Jom Kippur in der Synagoge trugen. Die Straßenmädchen trugen langärmlige Kleider ohne Korsett. Sie küßten beim Eintritt die Mesuse und grüßten Mutter höflich. Mutter stand bleich und aufgelöst da. Unsere Nachbarn umringten sie wie eine Wache, damit, Gott bewahre, nicht das kleinste bißchen Unreinheit auf sie abfärbte. Meinem Vater aber, den all das nicht im geringsten aus der Ruhe brachte, war keinerlei Veränderung anzusehen. Er stand an seinem Lesepult, studierte einen Text und notierte sogar irgendwelche Anmerkungen auf ein Blatt Papier. Alles wartete auf das Brautpaar.
Vom Balkon aus konnte ich Menschen auf dem Gehweg und am Haustor warten sehen. Plötzlich entstand Unruhe. Aus einem der Höfe war das Paar mit großem Gefolge aufgetaucht. Der Bräutigam im
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