Ein Braeutigam und zwei Braeute
Juden sein wollten und nicht wußten, wie. Nach einer Weile schien er aufzuwachen. Den Streitenden waren die Argumente ausgegangen. Er ließ jeden von ihnen das Tuch berühren. Schließlich verkündete er seinen Schiedsspruch: Die Bäckersgehilfin müsse zurücktreten, weil der Mann bereits mit der Schreiberstochter verlobt gewesen war. Da sie aber Ausgaben gehabt habe und sich auch gedemütigt fühlen mochte, müßten ihr zum Ausgleich für ihren Verzicht zwei Rubel gezahlt werden. Ich erinnere mich, bei diesem Urteil Scham empfunden zu haben. Zwei Rubel waren selbst für diese Armen eine so unbedeutende Summe. Ich fühlte, wie ich errötete, begriff aber sofort, daß mein Vater die Situation besser erfaßt hatte als ich.
Die schwärzliche alte Jungfer versuchte zu handeln, sagte, der Betrag sei zu gering, aber ich sah, daß sie mit sich reden ließ. Der graubärtige Verlobte erklärte umgehend, er habe kein Geld. Woher solle er die Rubel nehmen? Er müsse heiraten und eine Wohnung mieten und könne keine zwei Rubel zum Fenster hinausschmeißen. Da hob der Schreiber den Kopf und murmelte, da er die Situation seiner Tochter gelöst wissen wolle, werde er die zwei Rubel zahlen.
Und mit bebender Hand fing er an, in seinen Taschen zu graben und Groschen, Kopeken und Münzen verschiedensten Nennwerts heraufzubefördern. Er zählte, verrechnete sich, erkannte die Münzen nicht richtig, wiegte sich und betete unablässig. Und zählte auf diese Weise die zwei Rubel ab. Die schwärzliche Jungfer raffte die Münzen zusammen und verließ wutschnaubend und unter Fluchen und Türenschlagen den Raum, als wolle sie kundtun, daß sie immer noch nicht zufriedengestellt sei und sich nicht mit zwei Rubeln kaufen lasse.
Diese Din-tora war an und für sich schon seltsam, doch ein paar Tage danach hörten wir jemanden an unserer Klinke herumhantieren. Mutter ging hin, um zu öffnen, und herein kam der Schreiber. Mit Tränen in den Augen erzählte er Vater, der Mann, der seine Tochter heiraten wolle, sei noch nicht einmal geschieden. Vater war außer sich. Er lud den Mann vor und schimpfte ihn einen Schurken, Sünder, Ketzer und noch anderes – Ausdrücke, die meinem Vater nur selten über die Lippen kamen. Der Mann hörte mit schuldbewußter Miene zu und gab zur Antwort: »Ich bin in Scheidung begriffen.«
»Sie Störenfried! Sie haben behauptet, Sie seien schon geschieden!«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Das haben Sie doch gesagt«, bezeugte der Schreiber.
»Hätte ich mit einem verheirateten Mann eine Eheschließung ausgemacht?«
Der Verlobte versuchte, das abzustreiten, aber Vater zwang ihn zu gehen. Ich meine, daß er ihn sogar verfluchte. Der Schreiber blieb in Vaters Zimmer. Vater hätte ihm gern die zwei Rubel wiedergegeben, doch der Schreiber wollte sie um nichts in der Welt annehmen. Beide saßen lange zusammen, erörterten heilige Texte und seufzten über den Zustand der modernen Welt.
»Ach und Weh, das ist das Ende der Welt. Es ist höchste Zeit, daß der Messias kommt!« rief Vater aus.
»Nun ja«, seufzte der Schreiber. Es war, als sage er wortlos: Wir können dem Herrn der Welt keine Vorschläge machen.
Nach einer Weile starb der Schreiber. Seine Tochter blieb unverheiratet. Sie erblindete vollständig und saß almosensammelnd auf einer Schwelle. Noch lange danach kaufte ich unsere Brötchen bei der schwärzlichen alten Jungfer. Auch sie heiratete nie.
Als ich einige Jahre später Bar-mizwa wurde, schenkte mein Vater mir einen Satz Gebetsriemen, die jener heilige Schreiber verfertigt hatte, und mir kam es immer so vor, als spürte ich auf meiner Stirn die Heiligkeit, die von den Toraversen ausging, die er geschrieben hatte.
Eine ungewöhnliche Hochzeit
In der Krochmalnastraße stand ein übel beleumundetes Haus neben dem anderen. Auf jiddisch hießen sie hajsl. Die Straßenmädchen wohnten in Kellerräumen, deren Fenster unter den Haustürstufen hervorschauten. Die Freier mußten durch düstere, höhlenartige Gänge pirschen. In der Grünanlage lungerten Diebe und Zuhälter. Schon zu der Zeit wußte ich, daß es Prostituierte gab und daß man sie nicht ansehen durfte, weil ein einziger Blick einen verunreinigen konnte. Aber ich dachte nicht groß darüber nach, was sie waren oder und was sie taten.
Ich sah sie oft an der Haustür oder in der Anlage herumstehen, mit Rouge auf den Wangen und getuschten Wimpern, in geblümten Umschlagtüchern und roten
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