Ein Braeutigam und zwei Braeute
von Augenglas – eine Lorgnette – und sahen mich an. Ein paar waren erstaunt; andere lächelten. Die ganz jungen lachten.
»Der Talmudband ist größer als er selbst«, rief eine von ihnen aus.
Sie gaben mir eine Scheibe Zuckerlekach, ein Glas Wein und einen Schnaps, der meine Nase kribbeln und meine Augen tränen ließ.
Eine der Frauen fragte mich: »Was willst du einmal werden, wenn du groß bist, Rabbi oder Lehrer?«
Ich war schon zu alt für solche Fragen und antwortete darum: »Ich weiß es noch nicht.«
Das rief neuerliches Gelächter hervor, und sie gaben mir noch mehr Alkohol zu trinken. Dann packte eine Frau ein paar Küchel und ein Stück Strudel in eine Papiertüte zum Mitnehmen für mich ein, als wäre ich ein Bettler.
Reb Leiser Grawitzers Wunsch ging in Erfüllung: Er kam nie ins Gefängnis. Er erlitt einen Schlaganfall und war auf der Stelle tot. Er erhielt ein großes Begräbnis, auf dem ihn angeblich einige Leute heftig verfluchten. Nichtsdestoweniger wurde er in einer ausgesucht schönen Grabstätte beigesetzt, in der allerersten Reihe, und ein Rabbi hielt eine Lobrede auf ihn.
Nach seinem Tod fielen die Gläubiger wie die Heuschrecken in seine Wohnung ein. Aber alles war bereits gepfändet. Schließlich warf der Hausbesitzer die Familie hinaus, und die Einrichtung kam unter den Hammer. Von seinem gesamten Besitz blieb nur das Bettzeug übrig.
Ich weiß nicht, was aus Leiser Grawitzers Familie wurde, doch ab und zu lief mir Dowidl mit seinem Geigenkasten über den Weg. Unter einem breitkrempigen Hut trug er sein Haar lang. Man hatte prophezeit, Dowidl werde ein großer Geiger werden, aber soviel ich weiß, hat man in der Musikwelt nie von ihm gehört. Mit Reb Leisers Tod zerfiel auch alles andere.
Mein Vater sagte oft zu mir: »Ein Jammer! Hätte er seinen scharfen Verstand auf das Studium verwandt, wäre er ein glänzender jüdischer Gelehrter geworden.«
Reb Jekl Safir
In der Gnojnastraße wohnte ein Goldschmied namens Reb Jekl Safir, der sowohl gelehrt als auch reich war. Reb Jekl war kränklich und von schwindsüchtiger Blässe. Er hatte einen pechschwarzen Bart, eine Adlernase und ein Paar tiefschwarzer Augen, in denen die Trauer der ganzen Welt zu liegen schien. Reb Jekls Tragödie war, daß er keine Kinder hatte. Seine Frau Seldele sagte immer, Gott habe ihren Schoß verschlossen und niemand werde dasein, um Kaddisch für sie zu sagen. Das Ehepaar hatte ein Dienstmädchen namens Schifra, das sie wie eine Tochter behandelten, aber das reichte nicht aus.
Reb Jekl Safir unterstützte junge Torastudenten. Die meiste Tatkraft verwendete er auf die Studenten in dem »Kollektiv« in der Slizgastraße. Er nannte sie seine Kinder und beklagte sich über sie, als wären sie das wirklich. Mein Bruder Israel Joschua hatte früher in diesem Kollektiv studiert, und Reb Jekl mochte ihn. Er jammerte gern darüber, daß diejenigen, denen er geholfen hatte, ihn ungerecht behandelten. Ab und zu besuchte er uns, und ich hörte, wie er sich bei meinem Bruder beschwerte.
»Als dieser Bursche nach Warschau kam, hatte er nichts als Lumpen am Leib. Ich habe ihn eingekleidet, als wäre er mein eigener Sohn. Alles habe ich ihm gekauft: Hemden, Unterwäsche, Strümpfe. Tag und Nacht hat er bei mir im Haus zugebracht. Jetzt hat er eine hervorragende Partie gemacht und mich nicht einmal zur Verlobungsfeier eingeladen … Also, ich frage dich: Lohnt es sich, jemandem etwas Gutes zu tun? Seldele hat die ganze Nacht geweint. Sie hat geschworen, keinen Studenten mehr über ihre Schwelle zu lassen. Gibt es irgendeine Gerechtigkeit?«
»Es gibt keine.«
»Was? Wirklich …? Aber letztlich muß es in dieser Welt doch irgendeine Ordnung geben … Bald ist Chanukka, und ich möchte ein Fest geben – aber wie kann ich mit Seldele über so etwas reden, wenn ihr Herz bitter ist?«
Reb Jekl Safir gab ständig Einladungen. So traurig er war, sehnte er sich doch nur nach Freude. Mein Bruder nahm mich manchmal zu ihm mit. Am besten erinnere ich mich an ein Fest für die Studenten am Schuschan Purim, dem Tag nach Purim. Die Studenten tranken Wein, Bier und Met in einem Wohnzimmer, das drei Fenster hatte; sie knackten Nüsse und aßen Babas, die Seldele und das Mädchen Schifra gebacken hatten. Mein Bruder hatte sich als Frau verkleidet und tat so, als wäre er eine Frau, die zum Rabbi kommt, um ihn etwas zu fragen, und dann spielte er ein Ehepaar, das sich
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