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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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Hochzeitsstaat, mit neuem Sommerjakkett und Lackschuhen. Die Braut, klein und dunkel, sah aus wie ein Mädchen aus gutbürgerlicher Familie. Die Frauen zogen ihre Taschentüchlein heraus und wischten sich die Tränen ab.
      »Sieh nur, wie blaß sie ist!«
      »Fastet sie?«
      »Sie ist bildhübsch!«
      »Ich wünschte, ich hätte auch so ein Glück!«
      »Möge es dir auch beschert sein, so Gott will!«
      »Sie kommen! Sie kommen!«
      »Man soll nie die Hoffnung aufgeben!«
      Ein riesengroßer Zuhälter, auf einem Auge blind und mit gezackter Narbe auf der Stirn, sorgte für Ordnung. Eine Puffmutter mit ausladender Perücke schnauzte die Mädchen an, sie sollten hinten an der Wand bleiben. Ein Mädchen mit einem pockennarbigen Gesicht wie ein Reibeisen lachte mit einem Auge und weinte mit dem anderen. Dies war nicht einfach eine Hochzeit, sondern eine Schau, die einer Darbietung in Kaminskis Jiddischem Theater würdig war. Gewöhnlich brauchten wir keinen Schammes, aber die Zuhälter hatten einen eigenen mitgebracht, einen untersetzten Mann, der sich unter die Leute mischte. Als die Braut unsere Wohnung betrat, warfen alle Frauen ihr Kußhände zu. Sie faßten sie an, umarmten sie, wollten sie gar nicht loslassen. Sie überhäuften sie mit Glückwünschen. Zu jeder sagte sie dasselbe: »Möge es dir auch so ergehen, so Gott will.« Jedesmal wenn sie es sagte, hörte man von den Mädchen erstickte Schluchzer.
      Vater setzte sich, um den Ehevertrag zu schreiben, aber dann gab es einen spannungsgeladenen Augenblick. Er flüsterte mit dem Schammes. Er zog einen heiligen Text zu Rate. Es war unsinnig zu schreiben, die Braut sei Jungfrau, aber sie war auch weder geschieden noch Witwe. Welche Lösung gefunden wurde und ob sie in die Urkunde schrieben, daß die Braut einhundert oder zweihundert Złoty bekommen solle, weiß ich nicht mehr.
      Vier Zuhälter hielten die Stangen des Trauhimmels. Da beide Brautleute Waisen waren, wurden sie von den Bordellbesitzern und Puffmüttern unter den Trauhimmel geführt. Alles wurde nach jüdischem Gesetz und jüdischer Tradition vollzogen. Der Bräutigam trug einen weißen Leinenkittel, wie es der Brauch war. Der Kopf der Braut war mit einem Schleier bedeckt. Vater rezitierte die Segenssprüche und ließ die Brautleute Wein nippen. Als der Bräutigam der Braut den Ring an ihren ausgestreckten Zeigefinger steckte und dabei sagte: »So bist du mir heilig verbunden …«, brachen alle Prostituierten in Tränen aus. Schon als Kind war ich verblüfft, wie schnell Frauen zu lachen und zu weinen anfangen.
    Nach der Zeremonie küßten sich alle und wechselten Glückwünsche. Auf dem Tisch drängten sich Weinflaschen, Cognac, Liköre und sonstige Getränke aller Art. Auch Zuckerlekach wurde angeboten. Die Frauen nahmen sich vorsichtig – mit zwei Fingern, den kleinen Finger abgespreizt – von dem aufgeschnittenen Kuchen, bissen nur ganz wenig auf einmal ab und nahmen winzige Schlucke, wie Damen der feinen Gesellschaft. Heute waren sie nicht bloß Huren, die in Kellern ein elendes Leben führten, sondern Freundinnen, die zu einer Hochzeit eingeladen waren. Die Zuhälter tranken Schnaps aus Teegläsern und fingen an, mit schwerer Zunge zu reden, wie Männer es tun, wenn sie angeheitert sind.
      Ein Zuhälter rannte zu Vater und brüllte: »Rabbi, Sie sind ein Juwel von einem Juden!«
      »Es genügt, einfach Jude zu sein«, erwiderte Vater.
      »Rabbi, ich nehme alle Strafen auf mich, die Ihnen bestimmt sind!«
      »Oh, Gott bewahre … so darf man nicht sprechen.«
      »Rabbi, ich bin den Dreck an Ihren Schuhsohlen nicht wert.«
      Vater kehrte zu seinen heiligen Büchern zurück. Er wollte, daß diese Leute gingen, damit er sich wieder dem Torastudium widmen konnte. Aber sie hatten es nicht eilig. Sie tranken und tranken. Einer der Bordellbesitzer bestand hartnäckig darauf, Vater solle auch etwas trinken.
      »Ich darf nicht«, sagte Vater. »Ich habe einen Magenvirus, möge Ihnen das nicht widerfahren.«
      »Rabbi, er hat nur vierzig Prozent, nicht neunzig.«
      »Ich kann nicht. Der Arzt hat es mir verboten.«
      »Was wissen die schon? Ärzte haben keine Ahnung!«
      Nach sehr langem Zureden kostete Vater schließlich einen einzigen Tropfen. Die Frauen wollten Mutter in ihren Kreis mit einbeziehen, aber sie war schon nicht mehr in der Wohnung. Sie hatte nicht vor, sich mit dieser Schar gemein zu machen. Ich bekam Wein, Schnaps und so viel

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