Ein Braeutigam und zwei Braeute
instruierte seine Anwälte, wie sie verhandeln und was sie tun sollten. Hätte Reb Leiser an einer Universität Jura studiert, wäre er bestimmt eine Rechtskoryphäe geworden. Doch er benutzte sein Wissen nur für eigene Zwecke.
Nicht nur, daß Reb Leiser gelernt hatte, seine Haut durch juristische Tricks zu retten, er beherrschte auch die Kunst der Flucht. Wenn die Polizei kam, um ihn zu verhaften, entfloh er oft durch eine Hintertür oder sogar aus einem Fenster und über eine Leiter. Wurde es extrem gefährlich, versteckte er sich irgendwo und rührte sich eine Zeitlang nicht. Er hatte Verstecke, von denen niemand wußte, nicht einmal seine eigene Familie. Man sagte, in jede Wand seines Hauses seien illegale Ware und Schmuggelgut aller Art eingemauert. Überflüssig zu sagen, daß er den Hütern der Straße gelegentlich oder auch wö chentlich Schmiergelder zahlte, vom einfachen Polizisten bis hinauf zum Bezirkspolizeihauptmann und noch höher. Zu Feiertagen schickte er ihnen Wein, Cognac, Schnaps und Geld. Das Wort ging um, daß es in Warschau nur zwei hohe Amtsträger gab, die Leiser Grawitzer nicht hatte kaufen können: den Polizeiminister und den Generalgouverneur. Er hatte es versucht, jedoch ohne Erfolg.
Es war nicht leicht, zwei gegensätzlichere Menschen zu finden als Reb Leiser Grawitzer und meinen Vater. Aber Leiser Grawitzer hatte meinen Vater als Lehrer seines Enkels gewählt. Natürlich endete es damit, daß er meinem Vater Geld schuldig blieb. Bei wem hatte er keine Schulden?
Einmal erwähnte Reb Leiser, er besitze einen heiligen Text, den mein Vater nirgendwo in Warschau auftreiben konnte. Vater bat, das Buch ausleihen zu dürfen, und Reb Leiser war damit einverstanden. Und so geschah es, daß ich zu Reb Leiser Grawitzer geschickt wurde. Bevor ich losging, zog Mutter mir ein sauberes Hemd an und kämmte meine Schläfenlocken aus. Sie sagte mir, ich solle mich anständig benehmen und keinen Unsinn schwatzen. Leiser Grawitzer hätte seinem Enkel das Buch mitgeben können, aber anscheinend wollte er, daß ein Mitglied unserer Familie sah, in welcher Pracht er lebte.
Ich entsinne mich nicht mehr, wo die Wohnung lag, aber ich erinnere mich, durch einen imposanten Haupteingang gekommen und eine Marmortreppe hinaufgestiegen zu sein. An jeder der riesigen, mit Schnitzwerk verzierten Türen mit ihren Türsimsen war ein Messingschild mit eingraviertem Namen angebracht. Ärzte und Zahn ärzte wohnten hier. Hinter einer Tür hörte ich Klavierspiel. Ich läutete, aber es dauerte lange, bis die Tür einen Spaltbreit geöffnet wurde und ein Mann mich über eine Kette hinweg musterte. Er warf einen scharfen, prüfenden Blick auf mich und fragte, wer ich sei und was ich wünschte. Dann wies er mich an zu warten.
Es war die längste Warterei, die ich je erlebt hatte. Zuerst vor der Tür und dann im Flur. Der Flur war voller Türen, alle mit Milchglasscheiben. Telephone klingelten. Hinter jenen Türen hörte man Frauen reden, lachen, singen und flüstern. Dann ertönte Löwengebrüll, und ich erkannte Reb Leiser Grawitzers Stimme. Jemand führte mich durch einen Raum nach dem anderen, vermutlich um mir zu zeigen, wie geräumig die Wohnung war. Schließlich führte man mich in einen riesigen Raum mit Bücherschränken an allen Wänden.
»Wer bist du?« donnerte Reb Leiser und wandte mir sein langes, behaartes Ohr zu.
Dann nahm er einen Folianten, einen Talmud, aus dem Regal und gab ihn mir. Ich verabschiedete mich, doch er reagierte nicht. Ich wollte zu einer Tür hinausgehen, aber eine andere öffnete sich, und herein kam eine feiste Frau mit einer gewaltigen Perücke, in die Zöpfe einfrisiert und lauter Kämmchen gesteckt waren. Um den dicken Hals trug sie eine Goldkette. Zahlreiche Ringe schmückten ihre kurzen Finger, und lange Ohrringe baumelten von ihren Ohrläppchen. Dies war die Hausherrin, Reb Leiser Grawitzers Frau.
Gerade so wie Reb Leiser die Rolle des Og spielen mußte, des biblischen Königs von Basan, so mußte seine Frau die Heilige sein, die gütige Seele. Sie ging auf mich zu und fragte freundlich, wer ich sei, kniff mich in die Wange und wollte wissen, ob ich hungrig sei. Ich beteuerte, ich sei satt, aber sie führte mich in den großen Salon, wo etwa zwanzig Frauen saßen, junge, alte, dunkelhaarige, blonde, alle wunderschön gekleidet und juwelengeschmückt. Der Raum war voll süßer Düfte und roch nach Wohlstand. Einige Frauen zückten eine bestimmte Art
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