Ein Braeutigam und zwei Braeute
allerdings Jiddisch. Er sprudelte über von lustigen Sprüchen und Anekdoten, die er von Kaufleuten, Handlungsreisenden und Maklern gehört hatte. Gelehrsamkeit interessierte ihn weniger, aber sein Großvater hatte Vater gebeten, ihm mehrmals in der Woche Talmudstunden zu geben. Dowidl brachte oft seine Geige mit und unterhielt unsere gesamte Familie mit dem »Hamawdil« der Sabbatnacht, einem walachischen Tanz oder anderen traditionellen Melodien. Er schüttete die Witze nur so aus dem Ärmel. Sogar im Talmudstudium konnte er glänzen, wenn er seinen Eifer darauf verwandte, was er selten tat.
Merkwürdiger noch als Dowidl war sein Großvater Reb Leiser Grawitzer. Phantastische Dinge wurden über ihn erzählt: Er sah aus wie ein Reicher und führte sich auf wie ein Millionär – aber angeblich hatte er mehr Schulden als Haare auf dem Kopf. Alljährlich erklärte er den Bankrott, manchmal zweimal im Jahr. Reb Leiser Grawitzer war ein stattlicher Mann mit mächtigem Bauch und hocherhobenem Löwenhaupt. Sein weißer Bart war zierlich, wie es unter wohlhabenden Juden Mode war. Er trug einen Zylinder, einen Kragen ohne Krawatte und einen leicht gekürzten Kaftan. Sein Gesicht war stets gerötet. Unter buschigen Brauen schaute bei ihm ein Paar dunkler Augen hervor, kalt wie Stahl.
Alles, was Reb Leiser Grawitzer tat, war großartig. Wenn er sich die dicke Nase schneuzte, hallte es in der ganzen Wohnung wider. Wenn er sprach, dann mit Donnerstimme. Wenn Reb Leiser zu uns kam, gab es in der Straße jedesmal einen Aufruhr. Er pflegte in einer gummibereiften Droschke vorzufahren. Anstatt dem Kutscher die üblichen vierzig Groschen zu zahlen, gab er ihm fünfzig. Die Armen bedrängten ihn von allen Seiten, und er verteilte Vier- und Sechsgroschenmünzen. Der Eingang schien zu eng und niedrig für einen so großen Mann. Er erörterte mit Vater die Tora und wollte ihn unbedingt bei einem Irrtum ertappen. Tatsächlich hatte Vater fast immer recht. Reb Leiser hatte schon sehr viel vergessen. Aber mein Vater war nicht übertrieben stolz und sagte dann gutmütig: »Nun ja, werfen wir doch einen Blick in den Text.«
Woher bezog Reb Leiser seine Einkünfte? Wie konnte er dieses große Haus voller Söhne, Töchter, Schwiegersöhne, Schwiegertöchter, Enkel und Dienstboten führen? Was ermöglichte ihm, jedes Jahr einige Male zu seinem Rebbe zu reisen, ihm großzügige Geschenke zu machen, teuren Wein mitzubringen und für Unterhalt und Unterkunft armer Studenten aufzukommen? In Warschau schätzte man, daß er mehrere hundert Rubel pro Woche ausgab. Woher kam dieses Geld?
Reb Leiser Grawitzer betrieb vielerlei Geschäfte, doch er lebte von Konkursen und zweifelhaften Transaktionen, die ihn ins Gefängnis hätten bringen können. Es ging auch das Gerücht, daß er gefälschte Markenartikel entweder selbst herstellte oder mit ihnen handelte. Man flüsterte, Reb Leiser kaufe Teekisten, entferne maschinell die Zollstempel und mische den Tee dann mit einem minderer Qualität. Vermutlich war er auch an einer illegalen Lotterie beteiligt. Doch obwohl ganz Warschau und Łodz wußten, daß Reb Leiser ein Bankrotteur, Schwindler und Projektemacher war, dergleichen Polen noch nie gesehen hatte, hatte er dennoch immer wieder Partner und Kredit. Es hieß, er könne einen Stein dazu überreden, Milch zu geben. Hätte er nicht diesen riesigen Aufwand betrieben und nicht in riskante Unternehmungen aller Art investiert, wäre er Millionär gewesen.
Reb Leiser Grawitzer liebte zwei Dinge: Prestige und Gefahr. Manche hatten ihn tatsächlich dabei beobachtet, wie er sich die Zigarre mit einer Fünfrubelnote anzündete. Wenn sich ihm die Gelegenheit bot, sich bei einem Handel einen eingeschlagenen Schädel zu holen und obendrein eingesperrt zu werden, stürzte er sich Hals über Kopf hinein. Er hatte zahllose Feinde. Die Reichen in Warschau und Łodz hatten oft versucht, ihn vom Markt zu verdrängen, kaltzustellen und tatsächlich ins Gefängnis zu bringen. Hätte es für Reb Leiser eine größere Strafe geben können als die, Sträflingskleidung, Holzschuhe und eine runde Mütze tragen und unter Dieben und Mördern leben zu müssen? Reb Leiser wußte, daß das Gefängnis auf ihn lauerte. Er war von Feindesscharen umzingelt. Untersuchungsrichter und Staatsanwälte hatten geschworen, seinen Ruin herbeizuführen. Doch Reb Leiser kannte das Gesetz; in der Tat kannte er das gesamte Gesetzeswerk. Er entzog sich jedem Netz und Prozeß. Er
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