Ein Braeutigam und zwei Braeute
einen Anwalt suchen. Vielleicht würde man sogar von ihm verlangen, vor Gericht zu schwören, wer weiß? Vielleicht würde er barhaupt inmitten dieser Unbeschnittenen stehen müssen? Außerdem mußte der Anwalt bezahlt werden, und es war kein Groschen im Haus.
Vater trieb schließlich einen Winkeladvokaten auf, der herausfand, daß der Schuldschein von einem Kaufmann namens Lula gefälscht und präsentiert worden war. Mein Vater ging zu ihm. Lula hatte ein Kattun- und Kurzwarengeschäft und war westlich gekleidet.
Vater hielt ihm vor: »Was wollen Sie von mir? Ich bin ein armer Mann. Woher soll ich sechshundert Rubel nehmen?«
Lula machte zuerst ein erschrockenes Gesicht, weil auf Wechselfälschung drei Jahre Gefängnis standen. Doch als er sah, daß Vater ihn anflehte, begriff er, daß ein naiver Unschuldsmensch vor ihm stand, und er sagte: »Rabbi, ich rate Ihnen gut, zahlen Sie! Sonst lasse ich Sie ins Gefängnis werfen.«
»Warten Sie! Ich habe diesen Wechsel nicht unterschrieben. Ich kenne Sie nicht einmal. Das Ganze ist eine falsche Anschuldigung.«
»Sie haben ihn unterschrieben!«
»Wann? Wie?«
»Ich habe keine Zeit, mit Ihnen zu diskutieren. Zahlen Sie! Sie sind ein Mann mit Bart und Schläfenlocken, aber Sie wollen nicht zahlen. Sie sind ein Dieb!«
So redete Lula, dieser unverschämte Flegel, mit meinem Vater.
Die Unterschrift war auf polnisch, in lateinischen Buchstaben, und mein Vater konnte seinen Namen nur auf russisch schreiben, das heißt mit kyrillischen Buchstaben. Das aber wußte Lula nicht. Er hatte den Wechsel schon gegen Ware oder andere Auslagen weitergegeben und konnte oder wollte das Papier nicht zurückkaufen. Er hatte beschlossen, der Sache ihren Lauf zu lassen. Währenddessen war er seiner Zahlungsverpflichtung ledig.
Mein Vater lief sorgenvoll und bleich herum. Er war außerstande, weiterhin in Frieden zu studieren oder andächtig zu beten. Der Winkeladvokat war für einen so komplizierten Rechtsstreit untauglich, und mein Vater suchte Noah Prilucki auf, den berühmten Sprachwissenschaftler und Sohn von Zwi Prilucki, dem Herausgeber der jiddischen Tageszeitung Der Moment. Kaum hatte mein Vater zwei Worte gesagt, rief Prilucki aus: »Sie sind aus dem Bezirk Lublin.«
»Woher wissen Sie das?«
»Das hört man an Ihrer Aussprache. Sie haben nicht früher in Tomaszow gelebt, oder?«
»Doch, ich bin aus Tomaszow.«
Vater erzählte Prilucki seine Geschichte, und Prilucki lachte. »Keine Sorge, Rabbi, Sie werden keinen Wechsel einlösen müssen, den Sie nicht unterschrieben haben. Der andere, der Schwindler, der soll sich lieber Sorgen machen.«
Prilucki versprach Vater, er werde Lula anrufen und ein ernstes Wort mit ihm reden. In der Zwischenzeit mußte er jedoch verreisen und konnte in der Sache nichts unternehmen.
Der Wechsel war in Händen einer gojischen Firma, und da Lula sein Geschäft und sämtliche Wertgegenstände auf den Namen seiner Frau überschrieben hatte, nahm die Firma sich einen Anwalt, der Vater zur Zahlung aufforderte. Der Anwalt wußte sehr wohl, daß Vater unschuldig war. Aber der Unterschied zwischen einem Verbrecher und einem Anwalt ist oft minimal. Der andere Anwalt beschimpfte Vater und sagte, es sei eine Schande, daß ein Rabbi, ein Mann des Geistes, sich weigere, eine Summe zu zahlen, für die er garantiert habe.
Erstmals in seinem Leben befand Vater sich von Angesicht zu Angesicht mit einer Welt, wo die Leute das eine dachten und das andere sagten. Sie kannten die Wahrheit – aber sie fabrizierten falsche Anschuldigungen. Vater war außer sich.
»Ach und Weh, wie kann das sein?« sagte er. »Wir sind in Sodom! Dies ist genauso wie der Bejlisprozeß!«
Vater sagte ein schlimmes Ende voraus: Sie würden ihm alles nehmen und ihn, behüte Gott, ins Gefängnis stecken. Er wäre nicht mehr imstande, zu beten, zu studieren oder Kommentare zu schreiben. Er wäre gezwungen, unkoscheres Essen zu sich zu nehmen, und würde in Ketten nach Sibirien gebracht. Wenn sie solche Lügen ersinnen und ihm ins Gesicht sagen konnten, er habe einen Wechsel unterschrieben, den er nicht unterschrieben hatte, dann war es das Ende der Welt! Dann war dies ein Rückfall in die Generation der Sintflut, und derartige Lügner und Zerstörer würden vor keiner Verfehlung zurückschrecken. War nicht der Verräter Awigdor an der Inhaftierung von Rabbi Schneur Salman von Ljady schuld gewesen? Und war nicht
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