Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
Vorsichtig schob sie sich in das Zimmer und wich langsam zur Korridortür zurück.
»Was machen Sie hier?« sagte er. »Um Himmels willen, was haben ausgerechnet Sie hier zu suchen?«
»Es tut mir so leid«, stammelte sie. »Oh, es tut mir so leid...«
»Warum sind Sie hier?«
»Ich – ich bin hergekommen, weil ich Ihre Köchin anstellen wollte. Ich weiß, dass man so etwas nicht tut. Aber gestern Abend, als Sie und mein Mann nach oben gingen – da ging ich in die Küche und ließ mir ihre Adresse geben.«
Kerwin Drake schüttelte den Kopf.
»Es tut mir so leid«, sagte die Frau zitternd. »Ich weiß, dass es grässlich von mir war. Als ich ihre Stimme draußen hörte, versteckte ich mich schnell im Badezimmer. Bitte tun Sie mir nichts, bitte. Ich wollte doch nur eine Köchin – eine Köchin...«
Ihre Hand fuhr zur Klinke. Mit einer blitzschnellen Bewegung riss sie die Korridortür auf und floh. Aber Eile hätte nicht not getan; Kerwin hatte sich ihr keineswegs drohend genähert. Dazu war er zu erschöpft. Er seufzte und ging zur Tür, da er zu dem Schluss gekommen war, dass der beste Ort, die Polizei zu erwarten, sein eigener Wohnraum sei.
Wer leistet mir Gesellschaft?
F ür Julia Roman war die Liebe bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr ein Sport geblieben, bei dem sie lediglich Zuschauerin war. Dann lernte sie Marco Roman kennen und stürzte sich kopfüber und mit einem wilden Schrei der Ekstase in dieses Spiel. Sie waren zwar ein Liebespaar, aber nicht im Sinne einer Frauenzeitschrift. In ihrer Ehe gab es zu viel Leidenschaft und zu viel Doppelsinn. Wenn sie sich beispielsweise liebten, geschah dies ärgerlich und heftig, während ihre Streitereien voller Mitgefühl und Zärtlichkeit waren. Als Marco sich dann jedoch zu einem geschäftlichen Unternehmen mit seinen Brüdern Sam und Kenny zusammenschloss, so dass er auch nachts kaum mehr zu Hause war, erhielten ihre Streitigkeiten eine neue Note – das Jammern.
»Ach, Marco! Nicht schon wieder«, sagte Julia eines Morgens beim Frühstück. Sie zog die Zeitung, die er sich wie einen Schild vor das dunkle scharfe Gesicht hielt, herunter. »Das ist in dieser Woche schon der vierte Abend. Glaubst du eigentlich, ich sei völlig gefühllos?«
Er war verlegen, zog die Stirn kraus, rührte in der Tasse, suchte nach einer Zigarette und tat alles Mögliche – nur antworten tat er nicht.
»Mein Gott, wenn du nur eine Ahnung hättest, wie einsam es in dieser Wohnung sein kann, wenn du erst spät nach Hause kommst. Ich meine, ich kenne hier doch fast niemanden.« (Das war ein alter Streitpunkt: Julia war erst vor kurzem aus Cincinnati, Ohio, gekommen.)
»Ich kann es nicht ändern, Schatz«, sagte Marco einfältig. »Du weißt, dass ich es nicht ändern kann. Sam und Kenny gegenüber wäre es nicht anständig, wenn ich ihnen die ganze Arbeit überlassen würde. Also nörgle nicht ständig, ja?«
»Ich nörgle gar nicht. Ich sage es dir bloß. Wenn du mir nur erlauben würdest, einen Hund oder irgendwas anzuschaffen. Damit ich jemanden zur Gesellschaft habe – mehr will ich doch gar nicht.«
»Du weißt genau, dass ich Hunde nicht ausstehen kann, Julia. Dann muss ich ständig niesen. Warum siehst du dir nicht das Fernsehprogramm an?«
»Ach, zum Teufel mit dem Fernsehen. Mit einem Holzkasten kann man nicht reden.«
Er tätschelte ihre Hüfte und stand auf. »Weißt du, du brichst mir richtig das Herz. Deswegen will ich dir was sagen: Heute Abend bin ich gegen halb neun zurück.«
Sie hielt den Atem an. »Ist das dein Ernst?«
»Ich schwöre es. Halb neun, das wäre doch nicht übel. Und wie ist es mit einem Kuss? Nennst du das einen Kuss? Ich meine so einen!«
»O Marco!« quietschte sie.
Den ganzen Tag verbrachte sie damit, darüber nachzudenken, wie sehr sie ihn liebte. Um ihm das zu zeigen, verschönerte sie die Wohnung und sich selbst, wobei sie die meiste Zeit für das letztgenannte brauchte. Um halb neun zog sie ihr schönstes Neglige an und ging ins Wohnzimmer.
Um neun gab sie sich den strikten Befehl, nicht an den Worten ihres Mannes zu zweifeln. Sie stellte Kaffee auf das Feuer. Um halb zehn, als sie immer noch die Wohnungstür anstarrte, kochte er über. Der Kaffee war bitter – genauso wie schließlich auch Julia.
Um Viertel nach zehn nahm sie den pastellfarbenen Telefonhörer ab und hielt ihn unschlüssig in der Luft. Wen sollte sie anrufen? Sie hatte keine Ahnung, wo Marco zu erreichen war, und ihre Familie und ihre Freundinnen lebten in
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