Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
sah, dass er verletzt war, rannte ich los. Mehr weiß ich nicht!«
»In deinem Besitz befand sich das Messer...«
»Ich habe es nicht benutzt!«
»Dieses Messer ist jetzt Beweisstück A«, sagte der Anwalt. »Das weißt du, nicht wahr? Die Zeugen haben es in deiner Hand gesehen...«
»Lassen Sie mich in Ruhe! Sie wollen mir überhaupt nicht helfen!«
Vernon stand auf.
»Doch, Benjy. Aber es gibt nur eine Möglichkeit, wie dir geholfen werden kann, mein Junge. Ich möchte, dass du der Polizei zuvorkommst.«
»Was?«
»Ich möchte, dass du dich schuldig erklärst. Glaube mir, es ist das vernünftigste. Wenn dein Fall vor ein Geschworenengericht kommt, garantiere ich dir, dass du den Rest deines Lebens hinter Gittern verbringst. Bekenne dich schuldig, und das Höchste, was du bekommst, sind zwanzig Jahre. Das ist nicht so schlimm, wie es klingt. Nach fünf Jahren kannst du vielleicht auf Bewährung entlassen werden.«
»Das tue ich nicht!« schrie Benjy. »Ich bin unschuldig! Ich lasse mich nicht für eine Sache ins Gefängnis stecken, die ich nicht getan habe!«
»Ich versuche es dir vernünftig zu erklären, mein Junge. Warum hörst du nicht wenigstens zu?«
»Ich habe es nicht getan! Ich war es nicht!«
Vernon seufzte. Seine Mundwinkel glätteten sich, und er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.
»Hör zu«, sagte er freundlich. »Ich möchte dir wirklich helfen, mein Sohn.« ‚
Einen Augenblick blieb Benjy ruhig. Dann schüttelte er die mitfühlende Hand ab und fauchte den Anwalt an:
»Ich bin nicht Ihr Sohn! Ich habe selbst einen Vater!«
Wie der Vater, so der Sohn, überlegte Vernon nüchtern, als er den störrischen Mund und die harten Augen des alten Mannes betrachtete. Er war überzeugt, dass Blesker auch eine weiche Seite hatte. Unter anderen Umständen würde er bestimmt lächeln, Witze erzählen und eine Melodie vor sich hin summen. Jetzt, angesichts des offenen Rates, den der Anwalt ihm gab, war er so hart wie Stein.
»Sie müssen ihn zur Vernunft bringen«, sagte Vernon. »Er weiß noch nicht, was ihm nützt. Wenn er sich eines Mordes zweiten Grades schuldig bekennt, wird der Richter nachsichtig sein.«
»Aber dann muss er ins Gefängnis? Für etwas, das er nicht getan hat?«
»Sie sind der Vater, Mr. Blesker. Sie übersehen einige Tatsachen.«
»Die Tatsachen sind falsch!« Blesker legte seine geballten Hände auf die Knie und schlug einmal darauf. Als er wieder aufblickte, hatten seine Augen einen völlig veränderten Ausdruck. »Sagen Sie, Mr. Wedge...«
»Ja?«
»Für aussichtslose Fälle haben Sie wohl nichts übrig, nicht? Wenigstens erzählt man sich das von Ihnen.«
»Ist das so schlimm?«
»Wenn mein Junge sich schuldig bekennt, haben Sie nichts verloren. Sie können immer noch auf Ihre Erfolge verweisen, nicht?«
»Glauben Sie, dass das für mich der einzige Grund ist?«
Blesker zuckte die Schultern. »Ich frage bloß, Mr. Wedge. Von den Gesetzen verstehe ich nichts.«
Unfähig, diese genaue Einschätzung seiner innersten Gedanken zu widerlegen, versuchte Vernon, eine ärgerliche Erwiderung zu finden, was ihm jedoch nicht gelang. Er zuckte ebenfalls die Schultern.
»Meinetwegen«, sagte er knurrend. »Plädieren wir also auf nichtschuldig. Ich werde tun, was in meinen Möglichkeiten steht, um damit durchzukommen.«
Prüfend suchte Blesker im Gesicht des Anwalts nach irgendwelchen Zeichen der Aufrichtigkeit. Anscheinend war er befriedigt.
Am ersten Verhandlungstag betrat Vernon den Gerichtssaal mit einem Herzen, das genauso schwer wie seine Aktenmappe war. Überraschenderweise verlief der erste Tag gar nicht so schlecht. Als Vorsitzender war Judge Angus Dwight bestimmt worden. Trotz seines säuerlichen Aussehens kannte Vernon ihn als peinlich gerecht und ungeheuer sentimental. Wickers, der Vertreter der Anklage, war ein blondhaariger Adonis mit theatralischem Auftreten, scharfem Verstand, und er wirkte sehr auf Damen. Die Geschworenen waren glücklicherweise Männer – mit nur zwei Ausnahmen, und dabei handelte es sich um Frauen, die über das kokette Alter weit hinaus waren. Bereits in der ersten Stunde zog Wickers sich durch scherzhafte Bemerkungen einen Tadel des Richters zu, der auf den Ernst der Angelegenheit verwies; Vernons Hoffnungen stiegen.
Aber es war der einzige gute Tag. Am zweiten Nachmittag rief Wickers einen Mann namens Sol Dankers in den Zeugenstand.
»Mr. Dankers«, sagte er sanft. »Sie waren zum Zeitpunkt der Ermordung von Kenny Tarcher
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