Ein Clochard mit schlechten Karten
was Sie mir erzählt haben, kann man sich folgendes
Bild machen: Demessy wurde von dem Gedanken an seine
bevorstehende Vaterschaft gequält. Schon vorher hatte es hinten und vorne nicht
gereicht. Durch das Kind wär’s nicht rosiger geworden. Unglücklicherweise hat
er Sie getroffen. Der Gedanke an Frauen war auch einer, der ihn gequält hat.
Vielleicht hat er’s nie überwunden, daß er geheiratet hatte, ohne mehr als Geld
dafür zu bekommen. Er wurde nicht im Brautgemach getäuscht, sondern gar
nicht erst reingelassen. Auf der Treppe des Standesamtes verlassen. Das
denke ich mir so mit meinem dynamischen Privatflic -Gehirn.
Vielleicht täusche ich mich auch, glaub ich aber nicht. Einmal hat er nämlich
zu seinen Kollegen gesagt: ,Ich hab Besseres, mach
aber keinen Gebrauch davon.’ Vielleicht haben die sich auch verhört, und er hat
in Wirklichkeit gesagt: ,Ich hab Besseres, aber davon
hab ich noch keinen Gebrauch gemacht.’ Mit einem komischen Unterton soll er das
gesagt haben. Mit Bedauern, mit unsäglichem Bedauern! Es hat ihm das Leben
versauert, wenn auch nur unbewußt . Ich will sein
Verhalten nicht entschuldigen, nur erklären. Er liebte seine Frau nicht mehr.
Ich meine damit nicht Sie, Wanda, sondern... Hortense. Möglicherweise hat er
sie auch nie geliebt. Hat sich bei anderen beklagt, sie sei kein Pin-up-Girl.
Das muß aber nicht heißen, daß er sie betrogen hat. Er hat sich auf andere
Weise schadlos gehalten. Einem jungen Mädchen, einem hübschen jungen Mädchen,
hat er ein Foto geklaut. Ein kleiner Bilderstürmer, wenn ich so sagen darf. Und
da ist noch die Sache mit dem Parfümetui...“ Ich erzählte ihr die Geschichte.
„Aber es gehört mir!“ rief
Wanda. „Wie kommt es...“
„Er hat’s Ihnen geklaut und dem
jungen Mädchen geschenkt. Ein komplizierter Mensch, unser Demessy .
Beim nächsten Mal bring ich Ihnen das gute Stück mit.“
„Ach, soll sie’s behalten“,
sagte sie mit großzügiger Geste.
„Also“, fuhr ich fort. „ Demessy leidet unter Unzufriedenheit im allgemeinen und unter sexueller Unzufriedenheit im besonderen .
Und genau hier kreuzen Sie seinen Weg. Ihr Anblick macht ihm so richtig bewußt,
wie beschissen seine eigenen Lebensumstände sind, finanziell und sexuell. Das
macht ihn völlig verrückt. Er erpreßt Sie. Na ja, das war wenigstens für einen
guten Zweck. Keine Abtreibung, sondern Brutpflege mit Ihrem Geld. Aber je öfter
er Sie sieht, desto mehr steigt das Fieber. Er entschließt sich, Sie in die
Ehepflicht zu nehmen. Und zwar unter den geschilderten Umständen. Er will sich
an diesem beschissenen Leben rächen, an Ihnen, an sich selbst, an der
schmutzigen Farbe der Fabrikmauer, an der schmutzigen Farbe des Hauses, in dem
er wohnt. An allem und nichts will er sich rächen. Eine ziemlich lächerliche
Revanche! Demessy war kein übler Bursche. Hab ihn
damals aus vielen anderen Clochards ausgesucht, weil er mir sofort sympathisch
war. Ich wußte, daß er mit der Hochzeitsprämie wieder auf die Beine kommen
würde. Später dann hab ich ihn von weitem beobachtet. Er ist tatsächlich wieder
hochgekommen, aber leider nicht hoch genug. Letzten Endes hab ich ihm einen
schlechten Dienst erwiesen, als ich ihm riet, Sie zu heiraten, eine so schöne
Frau. Von da an hat der Schmerz sein Herz vergiftet. Dagegen konnte er einfach
nichts machen... Aber kommen wir wieder auf das Araberhotel zurück. Er kannte
es wohl durch seine nordafrikanischen Arbeitskollegen. Er mietet sich dort ein.
Anscheinend ist es noch das beste Zimmer. Und für sich alleine! Das gilt dort
als ausgesprochener Luxus. Aber er wohnt nicht ständig dort. Wahrscheinlich
kommt er nur, um sich vorzustellen, wie Sie sich dort machen werden. Wartet auf
den Tag, an dem er Sie zwingen wird, ihn dort zu treffen. Ansonsten wohnt er
wohl in einem weniger schäbigen Hotel. Von Ihrem Geld kleidet er sich ein, sehr
schick, sehr teuer. Er schmeißt die Arbeit und verbringt seine Tage mit
Spaziergängen und Kinobesuchen, zum Beispiel. Die Filmschauspielerinnen geben
ihm den Rest. Das ist in etwa das Bild, das wir uns von Ihrem Ex-Mann machen
können. Nicht grade wunderschön, das Bild, aber es gibt schlimmere. Paßt alles gut
zusammen. Ich bin mit mir zufrieden. Nur eins macht mir Sorgen: Er war
wahrscheinlich in krumme Geschäfte verwickelt — das einzige, was den Mord
rechtfertigen kann. Aber wie ich das noch unter denselben Hut bringen soll,
weiß ich beim besten Willen nicht. Vielleicht ein Banküberfall wie
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