Ein Cowboy für Bille und Zottel
es?“
„Offensichtlich.“
„Von einem Mädchen oder einem Jungen?“
„Das weiß ich nicht, die Briefe sind ja anonym!“
„Na, trotzdem könnte derjenige sich doch als Junge oder Mädchen zu erkennen geben! Was schreibt er denn so?“
Bettina täuschte einen Hustenanfall vor und versteckte sich hinter ihrem Taschentuch. Aber Bille blieb ernst.
„Zum Beispiel: ,Zottel, mein Geliebter, Tag und Nacht träume ich von dir! Wann werden wir uns endlich Wiedersehen? Ich sehne mich danach, dein seidenweiches Fell mit meinem Maul zu berühren...“
„Maul? Hat er das wirklich geschrieben? Das darf doch nicht wahr sein!“
„Ist aber wahr.“
„Und weiter?“
„In Gedanken schmiege ich mich an dich und benage zärtlich deine Kruppe...“
„Das muß doch ein Verrückter sein, der so was schreibt!“
„Wieso, Pferde benagen sich nun mal die Kruppe gegenseitig.“
„Ja, Pferde! Aber hast du schon mal einen Menschen gesehen, der einem Pferd die Kruppe...“
„Hab ich was von einem Menschen gesagt?“ Bille hob in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen. „Ich bin sicher, die Briefe hat ein Pferd geschrieben!“
Heike tippte sich an die Stirn und drehte sich wütend weg. Bettina prustete heraus.
„Ich... ich weiß sogar, wer sie geschrieben hat!“ kicherte sie. „Meine Stute Sternchen. Ich habe mich schon gewundert, woher die Tinte an ihren Hufen kommt!“
Dann kritzelte sie etwas auf einen Zettel und schob ihn zu Bille hinüber.
Gleich nach dem Mittagessen sattelte Bille Zottel und ritt zu den Freunden nach Peershof hinüber.
Regenschleier hüllten die Felder und Wiesen ein, über den Himmel zogen eisgraue Wolken, es wollte den ganzen Tag nicht richtig hell werden. In Zottels struppigem, rotweiß gesprenkeltem Fell sammelten sich die Tropfen zu kleinen Rinnsalen, seine Mähne sah aus, als sei sie mit winzigen Perlen besteckt.
Bille zog sich die Kapuze ihrer Regenjacke tief in das Gesicht. Zottel fand den Weg nach Peershof ohnehin allein, so oft war er ihn schon gegangen.
Das Gutshaus mit seinen roten Backsteinmauern wirkte heute düster und abweisend. Und düster war auch die Miene Florians, des jüngsten der drei Peershofer Jungen. Bille fand ihn mit einem Drahtbesen bewaffnet vor der Einfahrt, wo er wütend Laub zu einem Haufen zusammenkehrte und auf einen Karren häufte.
„He! Was machst du denn da“, rief Bille ihm schon von weitem entgegen.
„Siehst du doch, strafexerzieren!“ brummte Florian.
„Und was hast du ausgefressen?“
„Mir ist mal wieder etwas kaputtgegangen“, Florians Stimme triefte vor Selbstmitleid.
„Auweia.“
„Die anderen sind im Stall“, sagte Florian mit dem Ausdruck des zu Unrecht aus der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßenen.
Bille ließ Florian mit seinem Schmerz allein und ritt zum Pferdestall hinüber. Daniel und Simon hockten in der Sattelkammer und fetteten ihre Sättel ein. In der Stallgasse putzte Bettina ihre Stute Sternchen.
„Kann mir einer sagen, warum Florian zum Laubharken verdonnert worden ist?“ erkundigte sich Bille.
Daniel erhob sich grinsend, reckte sich gähnend zu seiner vollen Länge von nunmehr ein Meter neunzig und warf einen Blick über den Hof zu seinem kleinen Bruder hinüber.
„Wenn ich recht unterrichtet bin, hat es was mit einem verbotenerweise im Salon abgefeuerten Fußball zu tun — und mit Mutters Lieblingsvase.“
„Ja, dann…“ Bille pfiff durch die Zähne.
„Sag mal, was gibt’s da für tolle Neuigkeiten bei euch drüben?“ erkundigte sich Simon und polierte mit einem weichen Lappen die Sitzfläche seines Sattels. „Ihr kriegt Besuch aus Amerika?“
Bille erschrak. Sie hatte vergessen, Bettina um strengste Geheimhaltung zu bitten.
„Ach, das ist nur so eine Vermutung. Ich sollte eigentlich nicht darüber reden. Bitte sprecht mit niemandem darüber, sonst kriege ich Ärger. Vielleicht stimmt’s ja gar nicht.“
„Wir werden schweigen wie ein Fernseher bei Stromausfall. Nun erzähl schon! Was ist passiert?“
„Das ist mit einem Satz gesagt. Frau Beck bat Karlchen gestern abend, einen sehr dringenden Brief nach Kalifornien zur Post zu bringen. Neugierig wie er ist, wollte er natürlich wissen, was drin steht. Und Frau Beck sagte, es handle sich um ein aufregendes Geheimnis, aber es hätte nichts mit Pferden zu tun.“
„Und wieso soll es etwas mit Herrn Tiedjens Sohn zu tun haben?“ erkundigte sich Daniel.
„Weil der in Kalifornien lebt. Mit seiner Mutter. Er ist vierzehn oder
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