Ein Cowboy zum Verlieben: In einer zärtlichen Winternacht (German Edition)
werfen, die Tom hier versteckt hatte, bekam jedoch sofort ein schlechtes Gewissen und ging wieder.
Obwohl sie inzwischen vollkommen durchgefroren war, wollte sie nicht ins Haus zurück. Also steuerte sie auf die Obstplantage zu. Die Bäume waren knorrig mit nackten Ästen. Juliana blieb stehen, um die Hand auf einen dicken Baumstamm zu legen. Im nächsten Sommer würde er Früchte tragen, und vielleicht konnte Tom ihr bis dahin das Einkochen beibringen.
Als sie aus den Augenwinkeln einen Engel erblickte, glaubte sie zuerst, eine Halluzination zu haben. Doch dann begriff sie, dass er auf einem kleinen Friedhof stand.
Der Steinengel wachte über die letzte Ruhestätte von Bethany Allan Creed.
Juliana wurde schwer ums Herz. Beth. Lincolns erste Frau. Gracies Mutter. Vorsichtig, um ihr Kleid nicht zu beschmutzen, ging sie in die Hocke und wischte etwas Schnee von dem Grab.
„Ich werde sehr gut auf die kleine Gracie aufpassen“, hörte sie sich sagen. „Sie ist so klug und so hübsch und so lieb. Ich war schon in der ersten Sekunde ganz verzaubert.“ Ein Windhauch, weder kalt noch warm, fuhr in Julianas Haar. „Ich verspreche dir etwas, Beth, hier und jetzt. Gracie wird dich nicht vergessen, wird nie vergessen, dass du ihre richtige Mutter bist.“
Hinter ihr knackte ein Zweig.
Erschrocken sprang Juliana auf.
Lincoln stand ein paar Schritte entfernt. Er trug seinen Hut und den langen schwarzen Mantel. Aus dieser Entfernung konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen.
Als ob sie bei etwas Verbotenem ertappt worden wäre, konnte sie sich weder rühren noch etwas sagen.
Langsam kam Lincoln auf sie zu. Als sie sein Gesicht richtig sah, stellte sie fest, dass es ausdruckslos war. Kein Ärger, aber auch kein Lächeln.
„Hier draußen treiben sich manchmal Wölfe herum, Juliana“, sagte er. „Und im Sommer fallen die Bären über die Obstbäume her. Es ist viel zu gefährlich, hier allein herumzuspazieren.“
Juliana hatte Mühe, zu sprechen, weil ihr Hals noch immer wie zugeschnürt war. „Du musst deine Frau sehr geliebt haben“, sagte sie und berührte vorsichtig einen Engelsflügel.
„Beth’ Vater hat ihn geschickt“, erwiderte er. „Für seine Tochter musste es immer das Beste sein. Wobei er es allerdings nicht für nötig gehalten hat, in die Wildnis Montanas zu reisen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen oder seine Enkelin kennenzulernen.“
Darauf wusste Juliana nichts zu entgegnen. Und wahrscheinlich wäre ihr auch nichts Vernünftiges eingefallen.
„Ich habe Beth geliebt“, fuhr er fort. „Das Merkwürdige aber ist, dass ich, wenn ich sie heute zum ersten Mal treffen würde, vielleicht nicht mehr tun würde, als meinen Hut zu ziehen.“
Ohne nachzudenken, streckte sie eine Hand nach ihm aus und war erleichtert, als er nicht zurückwich.
„Wie meinst du das?“, fragte sie sanft.
„Ich meine damit, dass ich damals ein anderer Mann war“, antwortete er.
Obwohl sie noch immer verwirrt war, hakte sie nicht weiter nach. Es war besser, ihm einfach zuzuhören.
„Damals waren mir andere Dinge wichtig als heute.“
Sie wartete ab, die Hand noch immer auf seinem Arm.
Lange blieb Lincoln stumm. Als er das Schweigen brach, klang seine Stimme heiser. Er erzählte ihr, wie er nach Boston gegangen war, um Jura zu studieren, und welch furchtbares Heimweh er gehabt hatte. Und wie er Beth in der Kanzlei seines Vaters kennengelernt hatte.
Dann erzählte er ihr von Gracies Geburt und den beiden Kindern, die sie verloren hatten – einem Jungen und einem Mädchen. Sie hatten ihnen keine Namen gegeben. Jetzt wünschte er, sie hätten es getan, weil sie dann eine Identität gehabt hätten, egal wie kurz.
Juliana sah nicht weg, obwohl sie spürte, wie eine Träne über ihre Wange lief.
Viel später nahm er ihre Hand und führte sie nach Hause.
Tom hatte Abendessen gekocht – Bärenfleischhaschee. Überrascht stellte Juliana fest, dass sie großen Hunger hatte. Wahrscheinlich lag es an der frischen Luft.
Nach dem Essen spülte sie das Geschirr allein ab, während Theresa die jüngeren Kinder ins Bett brachte. Tom und Lincoln setzten sich mit Joseph an den Tisch, um die Reise nach North Dakota zu planen.
Juliana lauschte dem Gespräch und wusste schon jetzt, dass sie Joseph und Theresa sehr, sehr lange vermissen würde. Doch sie gehörten zu ihrer Familie – sie hätten ihren Eltern niemals weggenommen werden dürfen.
Als sie fertig war, hängte sie das Geschirrtuch zum Trocknen auf und
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