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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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leise hinter sich zu und nahm neben seinem Vater, der in seinem Sessel saß und reglos auf den Bildschirm starrte, auf der Couch Platz.
    Auf der Mattscheibe liefen Bilder aus Bremen vom frühen Abend. Es baute sich gerade das Bild eines türkischen Gemüseladens im Stadtteil Vegesack auf, vor dem Leute standen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in einer Entfernung von vielleicht fünfzig Metern und hinter parkenden Autos als solche gut zu erkennen, postierten sich zahllose Journalisten, die ihre Kameras auf den Eingang des Gemüseladens gerichtet hielten. Von der Polizei war niemand zu sehen. Wahrscheinlich verbargen sich die Zivilbeamten hinter parkenden Autos.
    In der Hoffnung, endlich einen der Geiselnehmer zu Gesicht zu bekommen, blickte Marc gespannt auf den Bildschirm. Und tatsächlich trat im nächsten Moment Hans-Jürgen Rösner, bekleidet mit einer offenen leichten Jacke, einem weißen T-Shirt und einer dunklen Hose, ins Bild. Mit einer Pistole in der Hand. Neben ihm die beiden Geiseln und seine Freundin. Vor ihm parkte ein dunkler BMW. Rösner gestikulierte mit der Pistole in der Hand, schien aufgebracht, riss die Waffe hoch und schoss zweimal krachend in die Luft.
    Die folgende Einstellung zeigte den gekaperten Bus am Busbahnhofin Vegesack. Rösner stand, umzingelt von einem Pulk Journalisten, vor dem Bus und gab Interviews.
    Ein ARD-Reporter fasste aus dem Off die Ereignisse des frühen Abends zusammen, dann wurde ins Nachrichtenstudio zurückgeschaltet, und der Sprecher erklärte, man werde in Kürze live nach Bremen schalten.
    »Rachael ist gekommen«, sagte Marc und sah seinen Vater an.
    »Rachael?«, erwiderte der überrascht. »Wann?«
    »Vor einer halben Stunde oder so«, log Marc und lächelte unsicher.
    »Was will sie von dir?«, sagte der Vater, ohne eine Miene zu verziehen, und wandte sich wieder dem Fernseher zu.
    »Ich weiß nicht«, sagte Marc.
    »Überleg dir genau, was du tust«, sagte der Vater.
    »Ja, ja, keine Sorge«, wiegelte Marc ab.
    Auf den Bildschirm war Hans-Jürgen Rösner live und in Großaufnahme zu sehen. Der Kopf, das bärtige Gesicht, die fettigen langen Haare. Gebannt studierte Marc wie 13 Millionen Fernsehzuschauer mit ihm, die ebenfalls vor ihren Geräten saßen, die Züge des Mannes. Seinen müden, überreizten Blick. Seine über und über tätowierte Hand, mit der er sich einmal kurz und schwerfällig ans Kinn fasste.
    Dann kam die Frage des Tagesschau-Reporters Günter Ollendorf, der in einem Kameraschwenk kurz zu sehen war: »Wie lange wollen Sie die Geschichte denn noch fortsetzen?«
    Rösner (ruhig und sachlich): »Ja, wir werden einige Forderungen stellen, und werden die nicht erfüllt, dann knallt’s. Und vor allem, mein Kumpel ist brandgefährlich, nä, und zuletzt ist dann diesen hier!« (Rösner hebt die Waffe hoch und schiebt sich den Lauf in den Mund.) »Ja, ich hab elf Jahre Knast weg, ich hab dreizehn gehabt, ich war von Anfang an in Erziehungsheimen und so ’ne Scheiße und allet, nä, ja, ich scheiß auf mein Leben. Und das mein ich ganz im Ernst.«
    Ollendorf: »Und die anderen Unschuldigen?«
    Rösner (wendet sich kurz betreten ab): »Kann ich nix für.«
    Kurz darauf lief Rösner zu einem dunklen Mercedes, vor dem ein Journalist stand und ihm mit den Worten: »Hans-Henning Schmidt, würden Sie mit ihm sprechen?«, den Hörer des Mobiltelefons hinstreckte. Rösner nickte, schob sich seine brennende Zigarette in den Mund, öffnete die Wagentür und nahm auf dem Fahrersitz Platz.
    Im selben Moment läutete das Telefon in der Diele. Marc sah seinen Vater fragend an, dann sprang er auf und lief hinüber. »Hallo?«, sagte er mit ans Ohr gepresstem Hörer in das Halbdunkel der Diele. Er hatte auf der kleinen Kommode Platz genommen, in deren Schubladen Schals, Handschuhe, das örtliche Telefonbuch und, in ein dunkles Tuch eingeschlagen, die alte geladene Militärpistole seines Vaters lagen.
    Marc drückte den Hörer fester ans Ohr. Zunächst war nur das Rauschen der Leitung zu hören, fern und monoton. Dann atmete plötzlich jemand tief ein und wieder aus, ein und aus.
    »Hallo? Wer ist denn da?«, sagte Marc. »So sagen Sie doch was.«
    Ein kurzes trockenes Husten erklang, gefolgt von einem Schnarren, wie wenn ein Ventilator anspringt. Dann sagte eine Stimme: »Verräter!« Nur dieses eine Wort. Und die Verbindung wurde unterbrochen.
    Marc legte den Hörer zurück auf die Gabel und ging zurück ins Wohnzimmer.
    »Wer war das?«
    Sein Vater hatte

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