Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
mit der sie die Abläufe im Bus verfolgten und die fortgesetzten Demütigungen ertrugen: das aufgeblasene Getue des zweiten Gangsters mit seinem schwarzen Colt. Die Fotografen, die schamlos aus nächster Nähe ihre Kameras auf sie gerichtet, ihre Hilflosigkeit ignoriert und einfach abgedrückt hatten. Vor allem aber die Ungewissheit, welchen Ausgang das Ganze nehmen würde.
Rund um den nächtlichen Busbahnhof waren Laternen und die Lichter in den vereinzelten Geschäften angegangen, wodurch sich ein silberfarbener Grauton unter die Schwärze mischte. Die Szenerie hatte etwas von einem Filmset. Diesen Eindruck verstärkten die zahlreichen Schaulustigen. Es fehlte nur noch der Regisseur, der mit einem Megaphon in der Hand gravitätisch zwischen den Hauptakteuren und all den Statisten herumlief und »Action« rief. Doch einen solchen Regisseur gab es nicht. Die Journalisten bestimmten das Geschehen, und die Polizei, wo immer sie sich in diesen Sekunden auch verbarg, sah zu.
Ich könnte versuchen, den einen zu überwältigen, spukte es Adam im Kopf herum. Doch dann ist da immer noch der andere. Trotzdem werden sie hinterher vielleicht sagen, ich sei feige gewesen. Doch das bin ich gar nicht.
In sicherer Entfernung parkte ein Taxi mit eingeschaltetem Abblendlicht. Wegen der großen Distanz und der von den herabstrahlenden Laternen hell verspiegelten Windschutzscheibe konnte er nicht erkennen, wer in dem Wagen saß. Er stellte sich vor, die Frau aus dem Dom säße dort hinter dem Steuer und beobachtete ihn. Die Vorstellung, ihr jetzt, in dieser verrückten Situation, ganz nah zu sein, gefiel ihm. Es wäre wie in einem amerikanischen Liebesfilm. »Der Busfahrer und die Taxifahrerin«müsste der Film heißen und würde die Geschichte ihrer beginnenden Liebe in Zeiten des Wahnsinns erzählen.
50 Meter entfernt drehte sich Peter Ahrens, von zwei Beamten kurz vorher informiert, um und lief, von einem Kamerateam begleitet, auf den von Journalisten umringten Bus zu, um Hans-Jürgen Rösner die Entscheidung der Polizei zu überbringen. Er stieg in den Bus und sagte zu Rösner: »Die machen das mit der Polizeigeisel nicht.«
Rösner, der glaubte, jeden Moment werde der Bus von der Polizei gestürmt, lief wutentbrannt in den hinteren Teil des Busses, packte die achtjährige Tatiana und zerrte sie mit Hilfe von Marion und Peter Ahrens nach draußen. Dort hielt er die Pistole in die Höhe und schrie: »Ihr verfluchten Schweine! Alle weg da!« Er drohte, das Mädchen zu erschießen, wenn ihm auch nur einer zu nah käme.
Die Journalisten stoben auseinander und suchten hinter den parkenden Fahrzeugen Schutz. Rösner, der befürchtete, die Polizei könnte Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Häuser postiert haben, benutzte das Kind als Schutzschild, ging in die Knie und drückte ihm, geblendet von einer wahren Blitzlichtorgie der Fotografen, seine Pistole an den Kopf.
Die Haare des Mädchens rochen wie die Kastanien, die er als Junge im Herbst im Nordpark gesammelt und anschließend mit seiner selbstgebauten Schleuder aus seinem Fenster auf die unten ahnungslos vorbeifahrenden Fahrradfahrer abgeschossen hatte.
Peter Ahrens unternahm einen letzten, allerdings abermals erfolglosen Versuch, die Polizei über sein Autotelefon mit Rösner ins Gespräch zu bringen. »Scheiße, warum geht da keiner ran?«, rief er. (In der Hektik hatte der Beamte ihm eine falsche Anschlussnummer genannt.)
Dann ging alles ganz schnell: Rösner zerrte das Mädchen gewaltsam wieder in den Bus, brüllte: »Tür zu, losfahren«, undrichtete die Pistole auf Adam, der wortlos nickte. »Nach Holland, na los!«, rief Rösner und stieß die kleine Tatiana brutal zu Boden.
Seit drei Stunden befanden sich die Geiseln nun in der Gewalt von Rösner und Degowski. Adam Jalowy gab Gas. Verfolgt von einem ganzen Konvoi von Journalistenfahrzeugen, steuerte er den hell erleuchteten Linienbus Nummer 53 der Bremer Straßenbahn AG ins Ungewisse.
***
»Hinterher!«, sagte ihr Fahrgast und stieß ihr, wie um sie damit zum sofortigen Losfahren zu bewegen, von hinten leicht die Hand gegen die rechte Schulter.
Chris Mahler startete den Motor, schaltete die Scheinwerfer an, machte den Taxameter und die Hungerleuchte aus und klemmte sich hinter die zahlreichen Journalistenfahrzeuge, die dem Bus quer durch die Stadt folgten. Bis sie den Zubringer zur A1 in Fahrtrichtung Osnabrück erreicht hatten und immer wieder Fahrzeuge plötzlich ausscherten und auf gleicher
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