Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
unterm laufenden Wasser gurgelnd im Spülwasser der Toilette verschwand. Umso überraschter war Bertram, als Amina eines Tages nach einem gemeinsamen Kinobesuch vorschlug, noch ein Glas Wein bei ihm zu trinken. Und als dann, nach mehreren Gläsern Aldi-Rotwein und einem Joint, den sie feierlich gedreht und in Brand gesetzt hatte, endlich geschah, was er sich monatelang in den glühendsten Farben erträumt und ausgemalt hatte, war es gerade mal ein ernüchternd kurzes Ineinanderstürzen.
Hinterher lag Amina auf dem Boden neben der Stereoanlage und schlief, und Bertram stand in der Küche und sah zu, wie zwei Aspirintabletten sich auf und ab tanzend in einem Wasserglas auflösten. Von Jubel oder Glück keine Spur. Was er fühlte, war vor allem Enttäuschung.
Anschließend hörte er wochenlang nichts mehr von Amina. Verunsichert rief er ein paarmal erfolglos bei ihr an und besuchte lustlos die Vorlesungen. Bis Amina eines Tages vor seiner Tür stand und ihm erklärte, schwanger zu sein.
»Ein Kind? Aber wieso denn? Nimmst du denn nicht die Pille?«
»Nein, tue ich nicht«, hatte sie patzig geantwortet und sich eine Strähne aus der schönen hohen Stirn gepustet.
»Aber wieso denn nicht, verdammt! Heutzutage nimmt doch jede Sechzehnjährige die Pille! Nur du! Du … ach vergiss es!«
Hier war sein Zorn bereits erlahmt. Denn so unvorstellbares für ihn war, Vater zu werden und sich um Strampler, Babynahrung, Windeln oder einen Kinderwagen und dergleichen zu kümmern, statt seine Karriere als investigativer Journalist voranzutreiben, so undenkbar erschien es ihm, Amina mit dem Kind sitzenzulassen. Außerdem war er ein entschiedener Abtreibungsgegner. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte: Er hatte ein Problem, und zwar ein ziemlich großes!
Bertram, der sich trotz seiner 24 Jahre in manchen Momenten selbst noch wie ein Kind fühlte, hatte vor dem Hintergrund seiner Geschichte als albanisches Adoptivkind entschieden, sich nicht fortzupflanzen. Seine mit ihm schwangere Mutter, der in ihrer südosteuropäischen Heimat die Steinigung drohte, war nach Deutschland, nach Mannheim geflohen, wo sie ihr Kind zur Welt brachte und es unmittelbar nach der Geburt zur Adoption an einen Juristen und seine Frau freigab. Bertram konnte der Idee, seine Gene irgendwann mit denen eines anderen Menschen zu mischen, wenig abgewinnen. Umso größer war sein Entsetzen, als Amina ihn damit konfrontierte, dass er den Kompass seiner Lebensplanung komplett neu ausrichten musste.
»Wir beide Eltern?«, hatte er ihr geantwortet und dabei hilflos gegrinst. »Wie soll das gehen? Ich meine, wie wollen wir ein Kind ernähren? Ich studiere. Du studierst. Und wegen der paar Sachen, die ich journalistisch gemacht habe, werden sich die Sender weiß Gott nicht um mich reißen!«
Dabei hatten seine Beiträge, die er fürs Landesstudio des Süddeutschen Rundfunks geschrieben und selbst gesprochen hatte, mehr als nur ernstzunehmende Ansätze erkennen lassen, darunter kleinere Reportagen über Ausländer und ihre Integrationsprobleme im Badischen sowie vor allem seine beiden längeren Stücke über die sogenannte »Wagner-Bürckel-Aktion«, bei der im Oktober 1940 über 6000 badische Juden, darunter 280 aus Heidelberg, in das französische Internierungslager Cap du Cour im Südwesten deportiert worden waren, von denen nur ganzwenige überlebt hatten. Bertram hatte zwei Überlebende dieses Genozids ausfindig gemacht und dazu gebracht, sich vor seinem Mikrophon zu äußern. Das Resultat waren ebenso beklemmende wie berührende Kurzfeatures, die ihm für seine »sachliche, vorurteilslose und zugleich einfühlsame Berichterstattung«, so die kurze Begründung der Jury, den in der Region angesehenen Publizistikpreis der Stadt Heidelberg eintrugen und ihn in seinem Glauben bestätigten, ein geborener Journalist zu sein.
Doch Amina hatte, wie es schon damals ihre Art war, nur lässig die Arme vor der Brust verschränkt, ihn mit leicht vorgestrecktem Kinn angesehen und entschlossen geantwortet: »Dann müssen uns eben meine Eltern helfen.«
Aminas Vater – er war im Vorstand der international tätigen Heidelberg Cement, eines altehrwürdigen, börsennotierten Baustoffkonzerns – fuhr einen schneeweißen 3,8 Liter turbogetriebenen Buick Riviera mit Weißwandreifen und roten Ledersitzen, spielte leidenschaftlich Tennis, seinen Killerinstinkt am Netz verglich er gerne breit grinsend mit dem des jungen Boris Becker bei dessen erstem Wimbledonsieg 1985, und
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