Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Links an der Wand saßen drei Männer an einem Tisch und spielten Karten. Am Tresen hockten zwei junge Männer vor halbvollen Biergläsern und unterhielten sich. Hinter dem Tresen stand der Wirt, beide Arme steckten bis zu den Ellbogen im Spülbecken. In der Musikbox lief »One Moment in Time« von Whitney Houston.
»Wem is ’n der dunkle BMW da vor der Tür?«, sagte Rösner. Der Wirt hob den Kopf. Hinter ihm an der vom Nikotin gebräunten Wand hingen bunte Vereinswimpel. Die beiden jungen Männer unterbrachen ihr Gespräch und drehten sich zu ihm um.
»Wem der BMW is, will ich wissen?«, wiederholte Rösner lauter, hob die Waffe und richtete sie auf die Kartenspieler. »Fährt von euch einer den 7er da draußen? Na los, wat is?«
Die Männer unterbrachen ihr Spiel und starrten auf die Waffe.
Rösner trat an den Tisch und stieß einem der Männer den Lauf des Colts gegen die Schulter. »Na los, du Arschloch! Du tote Drecksau! Wem is der BMW? Oder biste taub?«
Der Angesprochene sah ihn an, öffnete die Lippen, blieb aber stumm. Seine Hand gab die Spielkarten frei, sie fielen zu Boden.
So gefiel ihm das. Der hatte die Hosen voll. Rösner beugte sich vor, griff an dem Mann vorbei nach dessen auf dem Tisch liegenden Camel Filters, schob sich eine zwischen die Lippen und steckte das Päckchen ein. Niemand sagte etwas, niemand bewegte sich.
»Ihr verdammten Penner!«, rief Rösner, drehte sich um und ging hinaus.
Er ließ seinen Blick sehnsüchtig über die dunkle Flanke des BMW gleiten, auf welcher sich leicht verzerrt als dünner, weißer Strich der Lichtkegel der Laterne spiegelte. Dann hob er die Pistole, trat einen Schritt zurück und feuerte auf eines der Seitenfenster. Krachend fiel die Scheibe in sich zusammen.
»Dreckskarre!«, schrie er, taub vom Lärm der Detonation, und feuerte noch einmal voller Inbrunst auf die Heckscheibe, bevor er mit schnellen Schritten zurück zum Wagen lief.
II
Mittwoch, 17. August 1988
Noch weit nach Mitternacht zeigte das Außenthermometer auf ihrem kleinen, teils überdachten Balkon unglaubliche 28 Grad. Es war zum Verrücktwerden. Überreizt lag sie in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers wach und wälzte sich bis in die frühen Morgenstunden ruhelos hin und her.
Früher wäre Chris in einer solchen Situation aufgestanden, ins Badezimmer getappt und hätte eine Noctamid genommen, sich wieder hingelegt und geduldig auf deren betäubende Wirkung gewartet. Doch irgendwann war Klaus dahintergekommen, dass sie öfter, als es ihrer Gesundheit guttat, zu den chemischen Schlafspendern griff.
»Wieso nimmst du so was? Das ist Mistzeug, hörst du? Davon kann man abhängig werden!«
»Einfach so!«, hatte sie trotzig geantwortet und sich wieder wie die 15-Jährige gefühlt, die von ihrer Mutter dabei ertappt wurde, wie sie in deren Schlafzimmer vor dem Spiegel, mit einem hautengen Minirock der Mutter bekleidet, selbstverliebt posierte.
Klaus hatte die auf dem Waschbeckenrand liegende Packung genommen und war damit hinüber in die dunkle Küche gelaufen, wo der Mülleimer unter der Spüle stand. Als sie wieder im Bett lagen, musste sie ihm versprechen, sie nicht wieder daraus hervorzuholen. Widerwillig hatte sie damals seinem Wunsch entsprochen, denn eigentlich liebte Chris es, im Dunkeln dazuliegen und zu spüren, wie sich die muskelentspannende Wirkung der Tablette einstellte und die sie eben noch quälende Anspannung einem Leichtwerden ihrer Gedanken wich.
Seit Klaus sie im Juni mit der Begründung, ihr Selbstmitleidund ihre Panikattacken nicht länger ertragen zu können, verlassen hatte, galt das Versprechen nicht mehr. Trotzdem hatte sie in der Nacht nicht mehr die Kraft aufgebracht, aufzustehen, sich anzuziehen und die Notapotheke aufzusuchen, um sich eine Packung Noctamid zu besorgen. Außerdem hatte sie, seit sie einmal pro Woche zu Dr. Brunner ging und mit ihr über das sprach, was vor nicht ganz vier Monaten vorgefallen war, das Gefühl, auf dem Weg der Besserung zu sein. Was zählte da schon eine weitere Nacht ohne Schlaf?
So war der Abend vergangen wie zuletzt so viele. Sie hatte sich eine Folge von »Liebling Kreuzberg« angesehen, anschließend noch eine Weile von dem einen Programm ins andere geschaltet und den Fernseher schließlich ausgemacht. In Gladbeck hatten zwei Männer eine Filiale der Deutschen Bank überfallen und Geiseln genommen. Nach stundenlangen Verhandlungen mit der Polizei hatten die beiden Männer die Bank in einem bereitgestellten
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