Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
hinaus den Ruf eines wahren »Autoheilers«, der selbst die älteste Mühle wieder zum Laufen brachte. Immer häufiger rollten irgendwelche altersschwachen Karren auf den Srodulaer Hof der kleinen, von seinen ersten Einnahmen gemieteten Werkstatt. Erfüllt von Stolz und Bewunderung, folgte Adam seinem Bruder vertrauensvoll und lernbegierig wie ein Welpe, der sich in den ersten Monaten keinen Meter aus dem Windschatten seines Herrn herauswagt. Anfangs assistierte er ihm und lernte schnell. Genau wie Jakub Schmid, den Karoly als zweiten Assistenten, wie er das damals wichtigtuerisch nannte, anstellte und dessen polnische Mutter einen Deutschen heiratete und ihm aus Hamburg Postkarten schrieb.
In den Pausen, wenn sie in ihren ölverschmierten blauen Overalls auf dem Hof standen und die mit Taubenschiss gestreckten Black-Devil-Schokos rauchten oder die vollkommen geschmacklosen Route 66 rot, dann erzählte Jakub ihnen die neuesten Polenwitze aus Deutschland, die er von seiner Mutter hatte. Einer ging so: »Woran merkt man, dass die Polen auch schon im Weltall waren? – Am Großen Wagen fehlen die Räder.« Ein anderer so: »Kennt jemand einen Satz, in dem drei Lügen vorkommen? – Ehrlicher Pole mit eigenem PKW sucht Arbeit.«
Daran musste Adam mit Blick auf die an rotglimmende Leuchtkäfer erinnernden Rücklichter der vor ihm fahrenden Autos denken, als Rösner ihm überraschend auf die Schulter schlug und zischte: »Dass du mir ja nicht einpennst, verdammter Polacke! Klar!«
»Keine Angst«, erwiderte Adam und dachte: Verdammte Mörder! Der Teufel soll euch holen!
***
Sie hielt sich dicht hinter dem Bus. Ihr Fahrgast wies sie an, den Abstand zum Bus so klein zu halten, dass es anderen nicht möglich war, sich dazwischenzuklemmen.
Sie kam sich vor wie ein Groupie, das den Tourbus einer berühmten Rockband verfolgte. Ihre Freundin Petra war tatsächlich mal eine Ferienwoche lang hinter dem Tourbus der kanadischen Rockband Saga, die damals auf Deutschland-Tournee gewesen war, hergefahren, weil sie unsterblich in deren Frontmann Michael Sadler verknallt war. Und tatsächlich war es ihr gelungen, Sadler im Anschluss an ein Konzert in Hannover am Künstlerausgang aufzulauern und in ein Gespräch zu verwickeln. Als er ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange gab, wäre sie fast ohnmächtig geworden. Anschließend wandelte sie tagelang wie auf Wolken.
Ihre Klassenkameradinnen schwärmten für David Cassidy, Mickey Finn von T. Rex oder Ian Gillan von Deep Purple, klebten Bildchen von den langhaarigen Typen in ihre Mäppchen und flippten regelmäßig aus, wenn auf Klassenpartys »Child in Time« oder »Hot Love« lief. Chris fand Cat Stevens toll und bekam bei Stücken wie »Morning Has Broken« oder »Rubylove« regelmäßig einen verklärten Blick, weil sie dabei jedes Mal an Christian, ihren ersten Freund, denken musste. Den ersten Jungen, mit dem sie geschlafen hatte. Die Trennung von ihm hatte sie damals in einen monatelang anhaltenden Betäubungszustand versetzt, so dass sowohl ihre Eltern als auch ihre Lehrer anfingen, sich Sorgen um sie zu machen. Und dann hatte man Christian eines Morgens tot in seinem Bett gefunden. Er war, wie sie später erfuhr, an den Folgen eines Pseudokrupps erstickt. Im Schlaf, unbemerkt von seinem jüngeren Bruder Sven, der im Zimmer nebenan schlief. Ein vollkommen absurder Tod. Denn die Chance, als Jugendlicher oder Erwachsener an Pseudokrupp zu sterben, stand, das schlug sie im Lexikon nach, bei eins zu fünfhunderttausend. Doch was besagten schon solche Zahlen? Was?
Die Nachricht hatte ihr buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie war ohnmächtig geworden und, mit dem Telefonhörer in der Hand, in der Küche stehend zusammengebrochen. Ihre Mutter hatte einen Arzt kommen lassen, der ihr eine Beruhigungsspritze gab. Anschließend war sie in eine Fühllosigkeit abgedriftet, die alles gleich machte. Doch der Umstand, dass er nun nie mehr eine andere lieben würde, spendete ihr Trost und brachte sie wieder zu sich selbst zurück. Eine Zeitlang hatte sie sich wie seine rechtmäßige Witwe gefühlt. Christian würde ihr für immer alleine gehören, und die viereinhalb Jahre, die sie zusammen gewesen waren, konnte keine andere mehr übertrumpfen.
Wortlos saß der Journalist hinten im Wagen und starrte vor sich hin. Bis sie sein Schweigen nicht länger aushielt und sagte: »Was ist denn da los gewesen? Einmal hat es kurz geknallt. Wurde etwa geschossen?«
Der Mann schwieg
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