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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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weiter, doch sie konnte im Rückspiegel sehen, wie er sich mit der Hand ein paarmal vielsagend übers Gesicht fuhr.
    »Wurde geschossen?«, wiederholte sie. »So sagen mir doch, was los ist!«
    »Ein Junge … Sie haben einen Jungen erschossen … Einfach so.«
    »Mein Gott. Aber wieso denn?«
    »Er war eine Geisel«, sagte er. »Ein Fünfzehnjähriger, der seine kleine Schwester beschützen wollte.« In stockenden Sätzen berichtete er ihr von der vorschnellen Verhaftung der Rösner-Freundin durch das SEK, von Rösners Wut darüber und dem tödlichen Schuss auf den italienischen Jungen. »Die Typen drehen langsam durch«, sagte der Mann, »kein Wunder! Die denken doch, sie sind die Größten. Dabei haben die keine Chance. Nicht die geringste.«
    Chris fuhr sich mit der rechten, schwach zitternden Hand ein paarmal über das von einem hauchdünnen Schweißfilm bedeckteGesicht. Dann presste sie, während sie mit dem rechten Knie das Lenkrad kontrollierte, sekundenlang beide Daumen so stark gegen die Augäpfel, dass sich aus der Schwärze bunte, psychedelische Muster herausbildeten, Kreise, Sterne und Rauten, die im Rhythmus ihres eigenen Pulsschlags herumgewirbelt wurden.
    Als sie die Augen wieder öffnete, waren die Würfel und Rechtecke verschwunden, stattdessen tanzten schwarze Flecken von links nach rechts durch ihr Sichtfeld. Sie dachte: Wo habe ich bloß die verdammten Baldriantabletten hingelegt? Das ist alles zu viel für mich. Ich muss Dr. Brunner anrufen. Gleich morgen rufe ich sie an. Und dann stiegen die Worte in ihrer Kehle auf wie Unverdauliches, das der Magen wieder auszustoßen versucht. »Ich will das alles nicht!«, rief sie. »Bitte, behalten Sie Ihr Geld und lassen Sie mich gehen! Ich pack das nicht!«
    Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie spürte, wie sich das Zittern über die Arme in beide Hände fortpflanzte. Um es zu unterdrücken, stemmte sie beide Hände gegen das Lenkrad. Sie atmete tief ein und wieder aus, so ruhig und gleichmäßig wie möglich. So, wie sie es bei Dr. Brunner gelernt hatte. »Wenn eine Panikattacke im Anzug ist, müssen Sie ruhig und lange ausatmen. Achten Sie darauf, dass Sie nicht zu viel Sauerstoff einatmen, sonst hyperventilieren Sie … ruhig und lange ausatmen … nicht zu viel Sauerstoff einatmen …«
    Der Kerl starrte reglos hinaus in die Nacht.
    »Hören Sie, was ich sage?«, rief sie nun lauter. »Ich will nicht mehr!« Ihre Hände wurden kalt. Ihr Puls schnellte in die Höhe, und der Mund wurde trocken. Die Dämonen waren im Anmarsch. Und plötzlich begriff sie, was sie tun musste und dass das die einzige Möglichkeit war, um das alles auf der Stelle zu beenden. Sie nahm allen Mut zusammen, holte tief Luft und sah in den rechten Außenspiegel. Da passierte es.
    ***
    Beim Baseball nannte man es Strikeout, wenn der Schlagmann ausschied, weil der Pitcher dreimal hintereinander einen Ball geworfen hatte. Und beim Cricket Dismissal, wenn er relegiert wurde, weil er zum Beispiel mit dem Ball von der Feldmannschaft getroffen wurde. Gleiches galt in diesen Minuten für Peter Ahrens: Auch er war raus aus dem Spiel, stand ernüchtert und abgeschlagen am Spielfeldrand einer Partie, die ohne ihn in die alles entscheidende Schlussphase ging. Der Bus mit seinen Kameras war weg, doch er verspürte nicht die geringste Lust, hinterherzufahren, obwohl man nicht nur beim Stern ungeduldig darauf wartete, dass er seine Bilder übermittelte.
    Er hatte sämtliche Hindernisse, die sich ihm im Laufe der vergangenen Stunden in den Weg gestellt hatten, scheinbar mühelos überwunden. Er war als Vermittler in Aktion gewesen, hatte geredet, telefoniert, verhandelt, beschwichtigt und am Ende Degowskis Colt an seinem Kopf gespürt. Im Rückblick erschien ihm das alles seltsam unwirklich. Wie eben geträumt oder wie Szenen aus einem Katastrophenfilm, mit ihm als miserablem Laiendarsteller. Womöglich würde er auch jetzt noch hinter dem Bus herjagen, wäre da nicht dieser Schuss gewesen, der auch etwas in ihm getroffen und ihn damit augenblicklich lahmgelegt hatte. Schlagartig, wie auf Knopfdruck. Da war das Bild des reglos auf dem Boden liegenden Jungen, das er einfach nicht mehr aus dem Kopf bekam. Wohin er auch sah. Selbst wenn er die Augen schloss, war es da. Würde für den Rest seines Lebens da sein.
    Peter Ahrens war müde und fühlte sich ausgebrannt. Sein linkes Augenlid zuckte unkontrollierbar in unregelmäßigen Intervallen, und jedes Mal, wenn er Luft holte, verspürte er

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