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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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abgedrückt zu haben. Einmal machte er sogar das Licht an, weil er glaubte, Blut an den Händen zu haben. Mörderblut.
    Adam Jalowy steuerte den Bus in Richtung Holland durch die Nacht, müde, verwirrt und voller Adrenalin, im Außenspiegel die blendenden Scheinwerfer der dicht nachfolgenden Journalistenkarawane.Ob der Junge noch lebte? In Gedanken betete er für ihn. Denn weit und breit war kein Notarztwagen zu sehen gewesen. Immerzu ging ihm diese Frage im Kopf herum. Dazu das schreckliche Geräusch, das ertönt war, als der Kopf des Jungen beim Raustragen auf das Trittbrett des Busses schlug. Ein kurzer, trockener Schlag. Adam würde das Geräusch sein Leben lang nicht mehr vergessen.
    Anfangs war er fest davon ausgegangen, heil aus der Sache herauszukommen. Entweder mit Hilfe der Polizei, die das Ganze früher oder später beenden würde. Oder aber sobald die Gangster ihre Hauptforderungen erfüllt sahen und man ihnen freien Abzug gewährte. Doch nach allem, was passiert war, war er sich jetzt nicht mehr sicher. Den beiden Typen war alles zuzutrauen. Sogar, dass sie weitere Geiseln erschossen. Und warum nicht auch ihn? Noch waren sie auf ihn als Fahrer angewiesen. Doch sobald sie die Möglichkeit sahen, auf einen Wagen umzusteigen, schützte ihn nichts mehr. Ein falsches Wort konnte den Tod bedeuten. Für jeden von ihnen.
    Er war nur der Busfahrer. Ein Polacke, der von nichts eine Ahnung hatte, wie viele glaubten, die zwar noch nie einen Polacken getroffen hatten, aber trotzdem so über ihn und seine Landsleute redeten. Aber er war auch ein Mensch mit festen Grundsätzen. Und was hier passierte, verstieß gegen diese Grundsätze. Hier geschah ein unglaubliches Verbrechen, und alle Welt schaute zu. Die Polizei, die Journalisten, die nicht genug davon bekommen konnten, und wahrscheinlich Millionen an ihren Fernsehgeräten. Mit der kalten Bierflasche in der Hand, dem surrenden Ventilator vor sich auf dem Tisch und den von der Hitze geschwollenen Füßen in der mit Eiswürfeln gefüllten Plastikwanne.
    Er versuchte, im Rückspiegel zu verfolgen, was im hinteren Teil des Busses geschah. Gleichzeitig musste er höllisch aufpassen, dass er nicht mit einem der immer wieder plötzlich aus dem Windschatten herausschießenden und zum Überholen ansetzendenJournalistenautos kollidierte. Das fehlte gerade noch: ein Unfall, bei dem er womöglich die Kontrolle über den Bus verlor und sie alle im Graben landeten. Zum offenen Seitenfenster drang brausend die warme Nachtluft herein und wirbelte gegen seine linke Gesichtshälfte, als hielte jemand einen surrenden Fön auf ihn gerichtet. Seine Lippen waren ausgetrocknet, seine Augen brannten. Außerdem spürte er seit ein paar Minuten einen wachsenden Druck auf seiner Blase. Er würde weiterfahren, auch wenn er sich dabei irgendwann in die Hose pisste.
    Er fragte sich, was Karoly an seiner Stelle tun würde und wie der Abend verlaufen wäre, wenn er sich nicht bereiterklärt hätte, für den erschöpften, ängstlichen Kollegen einzuspringen. Wahrscheinlich wäre er bei »Dana« vorbeigegangen, hätte das eine oder andere Bier getrunken und versucht, in den Gesprächen mit seinen Landsleuten den ganzen Wirbel um Martha und die Frau aus dem Dom, diese Chris, eine Zeitlang zu vergessen. Irgendwann hätte er dann Karolys Berliner Nummer gewählt und sich Trost bei ihm geholt. Wie so oft. Denn Karoly konnte das. Menschen trösten und ihnen Mut zusprechen. Sie aufrichten, wenn sie am Boden lagen. Ihnen das Gefühl geben, dass es am Ende immer einen Ausweg aus allem für sie gab, wenn sie nur lange genug danach suchten. Er war eben von jeher der Stärkere, Durchsetzungsfähigere von ihnen gewesen. Ganz so wie ihr Vater.
    Als Karoly vom Selbstmord des Vaters hörte, schlug er einmal kurz und mit großer Wucht gegen den Wohnzimmerschrank und schrie auf. Dann war er mit gesenktem Kopf wortlos aus dem Zimmer gegangen. Als er nach einer halben Stunde, die er ziellos durch die Gegend gefahren sein musste, wieder nach Hause kam, wirkte er vollkommen gefasst, schloss erst seine Mutter und dann Adam in die Arme und sagte den Satz, den sie alle so oft aus Kachnas Mund gehört hatten: »Wir schaffen das.«
    Und so war es. Die Mutter baute sich trotz aller Anfangsschwierigkeiten ein Leben ohne ihren Mann auf und fand ihrschönes, mit dessen Tod verlorengegangenes helles Lachen wieder. Karoly perfektionierte sein technisches Wissen mehr und mehr und erarbeitete sich über die Grenzen von Sosnowitz

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