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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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zwischen Ergrauen und Vergilben. Doch das alles kam viel zu früh, er war doch noch jung.
    Er drehte sein Gesicht prüfend mal hierhin, mal dorthin, doch der Eindruck blieb der gleiche, nämlich das Gefühl, über Nacht einen Altersschub erfahren zu haben. Er stemmte das linke, schlaff herabhängende Lid nach oben, so dass sein von weinroten Äderchen durchsetztes Auge etwas Glotzendes bekam, und ließ es wieder los.
    Über seinem Kopf meinte er das Knacken des trockenen Dachgebälks zu hören, das stete Arbeiten der manchmal schwach unter der Last der aufgeheizten Dachziegel ächzenden Balken. Als hätte das Dach plötzlich eine Stimme, die unverständliches Zeug murmelte.
    »Hallo Papa«, sagte eine Stimme, und Ahrens fuhr herum. Er spürte ein jähes Zittern in beiden Unterarmen und in den Oberschenkeln und hatte das Gefühl, sich jeden Moment zu übergeben.
    »Jasmin, verdammt«, schnaubte er. »Du kannst dich doch nicht einfach so von hinten anschleichen, also wirklich.«
    Das Kind verharrte unbeeindruckt an seinem Platz und sagte: »Carla sagt, du warst im Fernsehen.«
    »Ja«, antwortete Ahrens sichtlich irritiert von der Frage seiner Tochter, denn damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
    »Ja, ich … ich … musste ein paar Leuten helfen, denen böse Männer weh tun wollten.« Er beugte sich zu dem Kind hinunter und sagte: »Aber ich war ganz vorsichtig. Denn du weißt ja, dass man nicht mit bösen Männern spricht. Und schon gar nicht mit ihnen mitgeht. So etwas macht man nicht, hörst du, Schatz! Niemals.«
    »Aber wieso bist du dann zu den bösen Männern in den Bus gestiegen?«, sagte sie und legte ihren kleinen Kopf in Erwartung einer befriedigenden Antwort schief. »Und Carla sagt, dass du nett zu den bösen Männern warst. Stimmt das, Papa?«
    Ahrens schnappte nach Luft, dann erhob er sich abrupt und tastete hinter sich nach dem Beckenrand, um sich daran festzuhalten. Das Kind sah ihn in Erwartung einer überzeugenden Antwort mit großen Augen an.
    »Hör jetzt sofort auf damit, Jasmin! Ich möchte nichts mehr davon hören, hast du verstanden?«, rief er und machte dabei einen so unbeholfenen Ausfallschritt, dass er die weiße, muschelförmige Seifenschale, die Anette so mochte, vom Wannenrand wischte. Mit einem dumpfen Knall fiel sie auf die hellen Steinfliesen und zersprang.
    ***
    Ich muss versuchen zu arbeiten, sagte sie sich mahnend, richtig zu arbeiten, erhob sich und lief mit der Tasse in der Hand hinüber ins Arbeitszimmer. Arbeit, das wusste sie, brachte früher oder später Klarheit in ihre in Unordnung geratenen Gedanken und Gefühle. Zudem war sie fest entschlossen, sich ihre Abwehrmechanismen und widerstreitenden Empfindungen (die sie vehement beschlichen, seit sie den Entschluss gefasst hatte, sich nach so langer Zeit wieder aus sich herauszuwagen) ungeschönt und genau zu betrachten. Sie wollte mehr über sich erfahren. Siewar schließlich Schriftstellerin. Worauf gründeten sich ihre Sätze, wenn nicht auf der schonungslosen Untersuchung von Gefühlen und Gedanken? Auch auf die Gefahr hin, dafür größere oder kleinere Schmerzen in Kauf nehmen zu müssen. Schreiben hieß, sich zu sammeln, hieß, nicht auszuweichen, bedeutete Konfrontation und Kampf. Mit der Wirklichkeit, mit dem Leben, mit sich selbst.
    Sie stellte die Tasse auf ihrem Schreibtisch ab, schaltete die Tischlampe an und griff im teefarbenen Schein der 60-Watt-Birne nach dem Manuskript. Stehend überflog sie die bereits vorgenommenen Änderungen. Rote Pfeile, Kringel und kurze, mit Ausrufe- oder Fragezeichen versehene Kommentare zierten die Seitenränder der Blätter. Dann nahm sie auf dem Stuhl Platz, nippte an ihrem Tee und vertiefte sich mit einem Gefühl wachsender Verunsicherung in das Geschriebene. All das, was da über Mireille geschrieben stand, trat plötzlich auf fast schmerzhafte Weise hinter ihre eigenen Gefühle zurück, verblasste verglichen damit, erschien ihr welk und fad, geradezu banal. War sie denn nicht bei sich gewesen, als sie all das zu Papier gebracht hatte? Schrieb sie unkonzentriert und uninspiriert vor sich hin, ohne zu bemerken, dass sie gar nicht bei der Sache war?
    Auch früher hatte sich regelmäßig Zweifel an ihrer Arbeit eingestellt, produktiver Zweifel allerdings, wenn sie nach Fertigstellung eines Kapitels oder einer längeren Passage das Geschriebene kritisch überflog und auf einmal das Gefühl hatte, ungenau gearbeitet zu haben. Er gehörte dazu, dieser Widerstand des Textes gegen

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