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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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bekam er auf einmal Angst.
    Nach dem vierten Klingeln wurde ihm geöffnet, und ein Mann im grünen Kittel und mit Gesundheitsschuhen führte ihn an das Bett seines Großvaters. Bei jedem seiner Schritte baumelte ein Mundschutz vor seiner Brust.
    Marc schrak zurück, denn der Mann, der da im Halbdunkel des Zimmers auf einem Bett lag, erinnerte nur noch entfernt an den Mann, der er einmal gewesen war. Der Kopf mit dem feucht schimmernden Haar war unnatürlich nach hinten gebogen. Außerdem wirkte der Alte wegen der Schwellungen im Gesicht vollkommen entstellt. Das Kopfteil des Bettes war erhöht, so dass der mächtige vorgewölbte Brustkorb, der sich, von der Herz-Lungen-Maschine angetrieben, hob und senkte, wie ein Panzer wirkte. Im aufgerissenen und wie zu einem lautlosen Schrei geformten Mund verschwanden zwei verschiedenfarbige Schläuche. Die Augen waren geschlossen. Blaue, gelbe und rote Schlangenlinien wanderten über die Monitore.
    Marc sah sich in dem kleinen in Grün und Grau gehaltenen Raum um, in dem zum Fenster hin, vor dem die Jalousie heruntergelassen war, hinter zwei Paravents wohl zwei weitere Betten mit gewiss ebenso reglosen Körpern standen.
    Mit zwei Fingern strich er über den fühlbar gespannten Handrücken des Alten, dessen plötzlich prankenähnlich wirkendeHände wie drapiert rechts und links des Körpers auf der Bettdecke lagen. Er bildete sich ein, ein schwaches Zucken zu fühlen.
    »Sein Körper ist wegen der Mittel, die wir ihm geben mussten, aufgeschwemmt«, sagte der Mann im grünen Kittel. »Doch das gibt sich mit der Zeit wieder.«
    »Was ist denn passiert heute Nacht?«, fragte Marc.
    »Es ist zu einem weiteren schweren Hirninfarkt gekommen, außerdem sind seine Blutdruckwerte sehr hoch. Wir haben ihn erst mal sediert, um für allgemeine Entspannung im Körper zu sorgen.«
    »Was meinen Sie mit Hirninfarkt?«, sagte Marc. »Was ist das?«
    »In seiner linken Herzkammer hatte sich ein Blutgerinnsel, ein sogenannter Thrombus, gebildet, und der hat sich heute Nacht, wie es aussieht, gelöst und ist im Hirn und anscheinend auch im Bauchraum eingeschlagen. So weit wir im Moment sehen, weisen stark erhöhte Werte auf eine größere Entzündung in dem Bereich hin«, antwortete der Pfleger.
    »Wird er sterben?«, fragte Marc, ohne seinen Blick von dem reglosen Körper zu lösen. Er griff nach der Hand des Alten und umschloss sie zärtlich.
    »Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen«, antwortete der Pfleger mit Blick auf die Monitore. »Darüber werden die nächsten Stunden entscheiden. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber wurde sein Gehirn geschädigt. Und was im Bauchraum los ist, müssen die weiteren Untersuchungen klären. Es tut mir leid, aber was anderes kann ich Ihnen leider im Moment nicht sagen.«
    »Er wird uns verlassen«, hatte der Vater kürzlich gesagt, als sie über den Großvater sprachen, und damit seinen Geisteszustand gemeint. Doch nun legte es sein Körper darauf an, dem Geist zuvorzukommen.
    »Ihr Vater war übrigens auch schon da«, sagte der Pfleger und lächelte verhalten.
    »Ach ja?«, sagte Marc überrascht und ließ die Hand des Großvaters los, die auf die Bettdecke sank.
    Sie hatten gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, dass der nächste Schritt des Alten hinaus aus seinem Leben ins Nichts führen würde. Nun war er da.
    Als er in der Nacht, mit Rachaels Kopf an seiner Schulter, wach gelegen und gegrübelt hatte, hatte Marc das vom nahen Westbahnhof herüberdringende an- und abschwellende Rauschen eines durch die Nacht jagenden Schnellzugs gehört und gedacht, dass dieses Rauschen den Verlauf eines Menschenlebens ganz gut beschrieb: das langsame Anschwellen bis zum Höhepunkt, gefolgt vom einsetzenden Verklingen.
    Kurzentschlossen riss er sich vom Anblick des Großvaters los und lief auf den Flur, stieß die Milchglastür auf und flog atemlos die Treppenstufen hinunter. Als er unten auf der Straße vor dem Kiosk ankam, an dem Patienten standen, die Bierflaschen in der Hand hielten, rauchten und sich unterhielten, fiel sein Blick auf die riesige Schlagzeile der Bildzeitung: »WIE GEHT ES IHNEN MIT DER PISTOLE AM HALS?« Darunter war Silke Bischoff abgebildet, sichtbar erschöpft und mit Degowskis schwarzem Colt am Hals. Das Foto füllte fast die ganze Seite aus.
    In seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. Da waren so viele Gefühle gleichzeitig, die einfach nicht zusammenpassten. Er zwängte sich an den lädierten Biertrinkern vorbei auf die

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