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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Fluchtfahrzeug gemeinsam mit den Geiseln verlassen.
    Als Chris Stunden später, erschöpft vom erfolglosen Warten auf den Schlaf, auf die Uhr gesehen hatte, war es halb vier gewesen.
    Jetzt zeigte das weinrote Display des Sony-Weckers 8 Uhr 46, und zwischen den Lamellen des heruntergelassenen Rollos drang das grelle Sonnenlicht herein. Chris versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. Sie wollte gewappnet sein, falls die Angst wiederkäme, was sie besonders gerne morgens gleich nach dem Aufwachen tat. Sie hatte dann das beklemmende Gefühl, wieder am Steuer ihres Taxis zu sitzen, das ihr von hinten an die Kehle gedrückte Messer zu spüren und mitanhören zu müssen, wie der Fremde sich hinter ihr selbst befriedigte und irgendwann stöhnend gegen die Rückseite ihres Sitzes ergoss. Vorher hatte er mit dem Messer ihre Bluse samt BH vorn zwischen den Körbchen brutal aufgeschlitzt und ihr seine kalte Hand auf die nackte Brust gedrückt.
    Kurz glaubte sie, wie sie so dalag und angespannt auf ihren in den Ohren trommelnden Pulsschlag lauschte, eine Angstwelle sei im Anzug. Doch es gelang ihr, sie abzufangen, indem sie sich vorstellte, eine vom Wind durch die sonnigen Straßen einer hitzeflirrenden amerikanischen Kleinstadt getriebene Vogelfeder zu sein, die irgendwann kreiselnd und wie einem sie nach oben ziehenden Sog folgend in den azurblauen Himmel aufsteigt, kleiner wird und sich schließlich darin auflöst.
    Erschöpft erhob sie sich und besah sich den dunklen, kreisrunden Schweißfleck auf ihrem Kopfkissen. Dann lief sie ins Bad und drehte den Wasserhahn auf, kühlte sich das schweißnasse Gesicht und ließ anschließend minutenlang das kalte Wasser über die erhitzten Unterarme und die von der Wärme leicht geschwollenen Hände laufen. Dabei studierte sie ihr Gesicht in der kleinen, dreigeteilten Spiegelfläche des Alibertschranks. Die müden, von Schatten unterlegten Augen. Die um die Nasenlöcher leicht gerötete Nase. Die blassrosafarbenen, aufgesprungenen Lippen. Und auch das kastanienbraune, ihr in dichten Strähnen ins Gesicht hängendes schulterlanges Haar, hinter dem sie, durch eine kurze ruckartige Bewegung aus dem Nacken hervorgeschüttelt, gern ihr Gesicht verbarg, wenn sie in Bedrängnis geriet. Nun umfasste sie es zu einem Zopf, zwirbelte es zweimal und fixierte es mit einer Haarnadel zu einem Dutt.
    Dr. Brunner hatte ihr kleine Hinweise gegeben, mit denen sie die in ihr aufkommende Angst in Schach halten oder sogar abfangen konnte. Dazu zählte so etwas Simples wie kaltes Wasser, das sie in kleinen Schlucken trank und sich so lange über die pochenden Handgelenke sprudeln ließ, bis ihr Puls sich wieder verlangsamte und sie das beglückende, von Entspannung begleitete Gefühl durchrieselte, davongekommen und wieder sie selbst zu sein: Chris Mahler, eine 32 Jahre alte, kürzlich von ihrem Freund verlassene Frau, die entschlossen war, den Kampf gegen die Angst zu gewinnen.
    Ja, ich werde einen Neuanfang machen, sagte Chris mit Blick in den Spiegel entschlossen ihr Mantra auf, drehte den Wasserhahn zu, legte mit dem Ellbogen den Lichtschalter um und lief mit nassen Händen zurück ins Bett. Auch ohne Klaus. Und heute werde ich nach mehr als vier Monaten das erste Mal wieder ein Taxi lenken.
    ***
    Peter Ahrens schlug die Augen auf. Er hatte wegen der Hitze schlecht geschlafen, war immer wieder aufgewacht und fühlte sich zerschlagen.
    Als er in den frühen Morgenstunden endlich wieder eingeschlafen war, hatten ihn kurz darauf der vor dem Haus im Leerlauf arbeitende Motor und das Quietschen der Hubmechanik des Wagens der Müllabfuhr geweckt. Auf dem giftgrünen, leicht flimmernden Display des Radioweckers war es neun Minuten nach neun.
    Zwischen den nicht ganz geschlossenen Rollläden brach das Sonnenlicht herein und malte ein interessantes graphisches Muster aus grellen Linien an die Fototapete der gegenüberliegenden Wand: die New Yorker Skyline im hellen Bremer Morgenlicht.
    Ahrens hatte das Foto bei seinem ersten New-York-Besuch 1979 gemacht. Er hatte sich dafür extra einen Leihwagen genommen und war aus der Stadt hinausgefahren, um über den Hudson hinweg die Südspitze Manhattans mit dem Empire State Building im Zentrum zu fotografieren. Berauscht von der kühlen Schönheit der im Sonnenlicht glitzernden Türme hatte er damals Dutzende von Filmen verschossen und nach seiner Rückkehr selbst entwickelt. Seitdem lagen sie in irgendwelchen Schachteln in seinem Archiv im Keller.
    Anette, die ihre

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